Fluss im November
In der Arbeit verläuft ein Meeting, das potentiell eskalieren könnte, komplett konstruktiv. Sowas passiert an unterschiedlichsten Orten in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder. Es gibt viele Menschen, die besonnen handeln, obwohl ihnen einiges abverlangt wird.
Als ich am Freitag die Leiter an den Apfelbaum lehne, bleibt ein Nachbar am Zaun zur Straße hin stehen. Wir plaudern eine Weile über Apfelsorten, ehe er seine im Juni verstorbene Frau erwähnt, die lange Krankheit und den Abendspaziergang jetzt zum Friedhof. Der Nachbar hat wasserblaue Augen und ein offenes Gesicht, in seinem Garten wachsen hundertjährige Bäume, seine Frau und er haben die Schneiderei im Ort betrieben, als es die Schneiderei noch gab. Ich habe den Mann vorher noch nie gesehen. Vermutlich war er in der letzten Zeit bis zu ihrem Tod häufig drinnen.
Zwei Tage bin ich sehr unruhig und verfalle einer dummen Gewohnheit, die sich immer einstellt, wenn ich unruhig bin. Dann bitte ich jemanden mich dabei zu unterstützten, der Unruhe auf den Grund zu gehen. Im Anschluss ist es besser. Ich sitze auf dem Sofa und tue buchstäblich nichts. Bade in dem Gefühl, nicht von mir selbst gejagt zu werden. Die Ruhe bleibt auch die folgenden Tage. Es fällt mir immer erst ganz zum Schluss ein, jemanden um Hilfe zu bitten. Es ist wirklich das letzte, was ich tue. Ich habe jetzt ca. 300 Mal die Erfahrung gemacht, wie mir fast alle, die ich darum bitte, gern und sofort helfen. Ich bin nicht mehr weit davon entfernt, zu glauben, nicht allein durch diese Welt gehen zu müssen.
In den Bergen sehen wir Fliegenpilze und erinnern uns an die Kalte Platte unserer Kindergeburtstage. Ei, Tomate, Mayonnaise. Wer kommt auf sowas. Wie gelangweilt muss man sein. Es führt kein Weg dran vorbei - der Fliegenpilz kommt dieses Jahr aufs Silvesterbuffet.
Am Wochenende treffe ich viele Leute und werde regelrecht aufgeschwemmt von Begegnungen. Ich mag diese Ausdehnung. Das Umfeld ist sicher genug, dass ich entspanne und verspielt werde, während gelgentlich Situationen um die Ecke kommen, die mich sehr fordern und überfordern. Am Morgen danach sitze ich am Fluss. Eine Stunde fließt er vorüber und hört nicht auf zu fließen.