Fast Februar
Die Bergkette erscheint heute schwindsüchtig und bleich. Ein allerhellstes Blau vor weißem Licht; in Bodennähe Nebel und weiter oben Farbauflösung. Selbst für ein Pastellaquarell wäre das zu wenig deckend. Gerade deshalb ist es natürlich fabelhaft. Eine Halluzination von Winter.
Es ist fabelhaft und anstrengend. Jeden Tag taut es für ein paar Stunden und jede Nacht friert alles wieder fest. Die Kälte schneidet, die Wege sind glatt, Erwachsene hangeln sich mit aufgerissenen Augen vom Laternenmast zum Gebüsch zum Treppengeländer zum S-Bahnsteig und es ist viel erreicht, wenn das ohne Sturz bewältigt wird. Er wäre eine gute Woche, um das Haus nicht zu verlassen, gerade jetzt aber liegen viele Termine an und ich bin mit den Bedingungen des Hin- und Zurückkommens mindestens so beschäftigt wie mit den Terminen an sich.
In einer Arbeitsgruppe mit Leuten, die sich zum Teil noch nicht kennen, bläst sich ein Mann bereits in der Vorstellungsrunde ganz schön auf. Als er zu einem bestimmten Zeitpunkt einer anderen Person ziemlich uninformierten Käse erzählt, hinterfrage ich seine Aussage. Er eskaliert umgehend in der hässlichsten Weise. Ich bin sehr wütend und kann mich lange nicht beruhigen. Freue mich aber, dass ich seine mangelnde Interaktionsfähigkeit entlarvt habe und die anderen das mitgekriegt haben. Besser, es ist gleich beim ersten Treffen klar, dass man es hier nicht mit einer harmlosen Person zu tun hat.
Frauen in meiner Altersspanne sollten 8-17 Liegestütze am Stück schaffen. Ich kann 0,5. Gelegentlich nehme ich einen Anlauf, trainiere und kann irgendwann 2. Dann werde ich faul und bin wieder bei 0,5. In meiner Tanzgruppe tanzen ein paar ältere Damen und ich nehme ihre Prognosen sehr ernst; die nachlassende Knochendichte, das Frakturrisiko, die verminderte Regenerationsfähigkeit. Eine schön geschminkte Achtzigjährige hat zu mir gesagt: Zum Schluss sind es nur Muskeln, die diesen Schrotthaufen zusammenhalten.
In der Institution wird nun jeden Monat ein Babyboomer verabschiedet. Kaum eine Woche ohne Ankündigung einer Feier anlässlich bevorstehender Pensionierung. Mit den meisten war eine verlässliche und angenehme Zusammenarbeit möglich. Wenn die Stellen weiterhin unbesetzt bleiben, hätte ich nichts dagegen, wenn KI ein paar davon übernimmt.
Vor einer Weile hatte ich eine ziemliche Obsession mit der japanischen, ländlichen Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ich hatte Bruno Taut “Das japanische Haus und sein Leben” gelesen und sah mir nachts die Filme von Ozu Yasujirō an, wegen der Innenräume, nicht wegen der Handlung.
Bruno Taut verließ Deutschland 1933, nachdem die Nationalsozialisten ihm die Professur an der Akademie der Künste entzogen hatten. Auf Einladung befreundeter Architekten lebte er drei Jahre in Japan, beobachtete seine Umgebung und notierte. Eindrücklich beschreibt er die erste Nacht in einem traditionellen Haus mit Außenwänden aus Papier (im Winter). Fazit: Innentemperatur = fast wie Außentemperatur. Die Idee bestand darin, den Körper zu wärmen, nicht den Raum. Daher die an der Feuerstelle aufgeheizten kleinen Metallstangen, die man sich in Ärmel und Falten der Kleidung legte.
Nachdem Bruno Taut alles mögliche beobachtet und festgehalten hatte (Toiletten und Lichtstimmung auf den Toiletten, Stauraum und Kochstelle, Religion und Nichtabschließbarkeit der Türen) widmete er sich dem Teehaus im Garten:
“Gebaut wurde eine literarische Idee. Hütte in der Natur, Vergänglichkeit des Menschenlebens, Genügsamkeit an bescheidenen Dingen, Liebe für alles dies und infolge davon: Stille des Herzens.”