An einen Donnerstagnachmittag sitze ich auf einem Balkon in den Bergen und schaue zum Karwendel. Die Wäsche jeden Tag draußen trocknen, später riecht sie nach der Umgebung: Heu, Sonne, Kühe, Holz, Staub und Hibiskus.

Ich schreite jetzt langsam durch mich hindurch. Auch meine Gefühle werden langsam, synchron zum Gehen in Zeitlupe. Die Verletzung am Fuß, dieser kleine gebrochene Knochen; so viel Kontrolle und Schnelligkeit hing daran, ohne mein Wissen. Es hat etwas von Würde, dieses getragene Gehen/Hinken. Überraschenderweise. Ich fühle mich wichtig, sogar groß, während ich langsam den Raum durchquere, ihn durchmesse als würde ich eine Planetenreise unternehmen. Vielleicht ist das sogar mein eigentliches Tempo? Ein Tempo, bei dem alles mitkommt.

Moshé Feldenkrais, Mabel Elsworth Todd: Wir sind unsere Bewegung. Was wir spüren und fühlen, wird unser Bild vom Ich.

Beim Zen lade ich regelmäßig das Nichts ein. Nichtwissen, Nichtwollen, Nichtmehrauskennen in sich selbst. Die Lücke, der unbeschriebene Raum. Und dann wieder Jesus. Ihm gegenüber sitzen. In seine Liebe fallen, kopflos, bodenlos. Dahinter und darüber das durchweg körperliche, schwindelnde Eindrehen in die sufistische Vorstellung, dass jede Zuwendung, ob zu Kind, Tier oder Frau, erlebte Ewigkeit ist.

Sinnlich und übersinnlich den Hals nicht vollkriegen.

Weiterhin in der Woche jeden Tag zwei Gewitter. Die Hagebutte, nach dem Sturm im letzten Jahr mit Spanngurten und Stöcken stabilisiert, kracht wieder um. Diesmal final: Wurzel raus, aufgeworfene Erdbrocken, das gesamte Stamm- und Astwerk am Boden. Es wird eine Motorsäge aus dem Keller geholt und die Hagebutte verabschiedet. An der Leerstelle Flieder gepflanzt.

An dem einen heißen Wochenende im Juli nach einem Seminar mit Kolleg*innen auf dem gepflasterten Innenhof eines Werkgebäudes gesessen, zwischen den Scherben und Kippen. Wir wären gern komfortabler gesessen, aber Stadt und Stunde gaben es nicht her. Musik aus dem Handy gehört, mitgesungen, dabei zugeschaut, wie sich zwei Menschen verlieben. Wenn doch immer Sommer wär. Ansonsten: wie es eine große, sehr heterogene Gruppe zusammenhält, fördert und voran bringt, begabte Lehrer*innen zu haben. Und der klaffende Unterschied zu solchen Lehrenden, denen der Job nicht liegt. Die in was anderem gut sind, aber dennoch lehren wollen. Warum? Wenn Geld keine Rolle spielt und andere Optionen zu Hauf vorhanden?

Dieser kleine gebrochene Knochen verunsichert mich nachhaltig. Was heißt das für die Zukunft? Soll ich nur noch vorsichtig tanzen? Die Ärztin sagt, es handele sich um eine typische Tanzfraktur, alles wird gut, keine Schäden, keine Schmerzen. Ich glaube ihr und spüre zeitgleich den Moment, als plötzlich eine Lücke war, wo sonst harte Verlässlichkeit saß.

Manchmal mach ich mir Sorgen, dass ich Sachen herbeimeditiere.

An denen ich auch ignorant vorbei leben hätte können.

Aber das ist ein falsch abgebogener Gedanke. Niemand hat irgendetwas in der Hand. Und: alle haben etwas in der Hand.

Ein Kind kommt zu Besuch. Ich google Kinderrezepte. 90% der Ergebnisse sind eine Form von Pizza. Ich mache Pizzastangen aus Fertigblätterteig. Das Kind schaut skeptisch aber isst.