Die Nächte sind verklebt vom Geruch der Linden. Die Restwärme des Tages und meine seit Beginn der Woche angesammelte Ermüdung begleiten mich in die Dämmerung; ich bin schwer und bereit und habe große Lust, eine Dummheit zu begehen. Unweit der Flussbrücke tanzen auf einer Wiese unter hohen Bäumen etwa achtzig Menschen zu dem opulenten, dunklen Elektroset einer kleinen, schwarzhaarigen Frau. Stella ist nicht da, ein paar der anderen kenne ich, es beginnt leise und wird sehr laut, während ich die Augen schließe und mich kaum bewegen will, so gut und sommerfeucht und finster ist das Zusammenkommen in dieser Form, wer denkt sich so was aus.

Später stehen wir unter den Weiden, die Gesichter nah, nicht mehr erkennbar, nicht unterscheidbar, kein Licht und keine Orientierung, nur Stimmen, vertraut und fremd im Wechsel; ich will sie alle küssen, vor allem aber mich. Ein paar der anderen gehen in den Fluss und kommen tropfend, kalt zurück, jemand fragt mich scherzend: How is your sadness tonight? About 32 percent?
29, antworte ich. Lower than before the dance.

Am nächsten Tag sehen wir uns wieder, schwitzen unter dem Sonnenschirm eines Lokals, in dem wir gerne trinken, anstoßen auf die so gewitzt in fünf Sprachen plaudernde Rumänin und ihre Rückkehr von einer Reise in die Wüste. Etwa zeitgleich mit ihr ist Davide zurückgekehrt, etwa zeitgleich mit ihr hat er eine absonderliche neue Erfahrung unterwegs gemacht. Wir kennen uns eigentlich nicht gut genug, um verletzlich voreinander zu sein, trotzdem fängt einer damit an und nach einem kurzen, fast physisch spürbaren shift in der Gesprächsdynamik kann niemand widerstehen und alle sagen Dinge, die sie selten sagen. Der Asphalt flimmert, Mohnblumen wippen zwischen parkenden Autos.

In der Institution sind meine liebste Lektorin und ich allein auf weiter Flur. Viele Kolleg*innen scheinen verreist, in Auswärtsterminen oder im Homeoffice die umfangreichen Streckensperrungen auszusitzen. Wir stehen zu zweit an die Anrichte der Büroküche gelehnt, während Kaffee durch eine der unsäglichen Maschinen rinnt, unterdessen verbrennt und ungenießbar wird. Es ist Montag und zu früh, um Emotionen für unveränderbare Umstände aufzubringen. Die Lektorin hat mich in den neun Wochen, in denen ich mir ein Büro mit ihr teile, mehr über Nervensystemregulation gelehrt, als manche der kostspieligen mehrtägigen Seminare, die ich dazu besucht habe. Vor allem, weil sie so langsam tippt. Auf ihrer Tastatur. Jede Tastenberührung behutsam trennend von der nächsten. Des Weiteren weil sie langsam trinkt. Die Tasse hält, als stünde sie im gelben Licht eines italienischen Vorstadtmorgens, noch unentschlossen, ob es hier etwas zu sagen gibt. Oder alles gut genug auch ohne Worte. Zuletzt, weil sie so langsam schaut. Mit Lidern, die sich senken und heben in einer Gemessenheit, die ich nicht recht deuten kann. Ist das sexy oder träge oder überlegen oder altersmilde oder weise?

Im Garten wachsen Pfingstrosen und Bauernjasmin zusammen, verschlingt japanisches Honeysuckle den Zaun. Es ist das erste Jahr, in dem mir gefällt, was hier passiert. In dem ich mich nicht gekränkt fühle und in meiner Bemühung verlacht. Hat sich dieses borstige Restegrundstück doch noch bitten lassen.