Mach deine Zelte weit
Vier Tage sehr schöner Elektro zwischen Maisfeldern und einsamen Hügeln, einer Bühne, die Amore heißt und nachts unter Bäumen neonpink glüht. Ich stehe in einem Kreis Vertrauter, bewege mich sanft und üppig viele Stunden zu diesem satten, harten, melodischen Beat. Die Mondsichel, der schwarz herüber dampfende Wald, Mitternacht, Morgengrauen, die Menge um mich heavily drugged. Außer Stella und dem blauäugigen Freund bin ich vermutlich die einzig nüchterne Person hier. Ich glaube nicht, dass steigerbar ist, eine Substanz toppen kann, was ich fühle, wenn ich auf diese Art tanze; in meinem schimmernden Rock, mit meinem offenen Haar, mich selbst betastend.
Später rücke ich etwas heraus, weg vom Gedränge an den Rand, wo eine Feuerschale Wärme spendet und ein paar ruhiger Gewordende in Umarmungen liegen. Auch hier lasse ich mich weiter bewegen, ich muss es nicht tun, nicht einmal wollen. Eine auf den Bretterpodesten sitzende Frau schaut mich an und ich schau zurück ohne Scheu. Es ist einfach, wenn körperliche Selbstzweifel und Bewertungen nur noch vage Erinnerung sind, ein Schatten, der so viele böse Worte für mich hatte und zum Schluss doch nicht anders konnte, als sich meiner Liebe zu ergeben.
Am andern Morgen sind die Duschen kalt und die Warteschlangen lang, aber der blauäugige Freund wird bald Kaffee kochen, Stühle für mich und ihn in die Sonne stellen und ein Räucherstäbchen anzünden; etwas Süßliches, wahrscheinlich Jasmin. Wir trinken leise miteinander sprechend, um die anderen nicht zu wecken, legen die erste Schicht Lichtschutzfaktor auf und lassen Vorkommnisse der vergangen Nacht durchlaufen. Vor allem aber arbeiten wir nicht. Und wie selten das geworden ist, mit anderen Erwachsenen tagelang an einem Ort zu verweilen, zu spielen, zu singen, Nudeln mit Tomatensoße zu essen, sich fast dauernd zu freuen oder endlich Zeit zu haben, um richtig traurig zu werden.
Tagsüber zerstreuen wir uns, nehmen halbherzig an Workshops teil, baden in dem grasigen Teich oder wälzen Gedanken, nachts finden wir wieder zusammen unter einem kleinen halb überdachten Zelt, fassen uns an Händen und Hüften und stehen eine Stunde oder zwei in dem psychedelischen Klangteppich eines langhaarigen DJs. Ich glaube, es handelt sich um stark verfremdete The Doors Songs, kenne mich aber zu wenig aus.
Vielleicht ist das alles gar nicht echt, ich oder jemand hat es erfunden – das denke ich oft in diesen Tagen – ein Etwas versucht mich glücklich zu machen; ein Wesen, die Gemeinschaft, Entität, das Kollektiv oder die Summe dieser vorbei zischenden, verglühenden Seelen. Wie riskant das ist, für mich und andere, so roh zu sein und angewiesen aufeinander. So viel zu wagen, so übertrieben zu träumen und haushoch zu verlieren.
If you don’t try to fly
and so break yourself apart,
you will be broken open by death
when it’s too late for all you could become. [Rumi]
Das endlich richtig traurig Werden ist gut eingefasst und möglich in dem Moos bedeckten Wald, der an das Festivalgelände grenzt. Dort liege ich mehrere Stunden unter Fichten in der warmen, ätherisch aufgeladenen Luft. Es gibt nicht viel zu sagen ab einem bestimmten Pensum an Verlust. Wenn der Verlust anhält, dauerhaft wird, nicht weggekämpft, weggelöst werden kann. Wenn er eine ganz reale Form annimmt, eine Lücke wird, Leere, die Rückseite meiner Fähigkeit, fast alles zu lieben. Fast alles in mich aufzunehmen.