Gartenfiktion
Die Schafe sind wieder ausgebüxt. Jetzt stehen sie vor unserer Tür. Man darf ihnen nahe kommen - aber nicht streicheln!
Am Wochenende Fortbildung. Die Fortbildungen finden in einer Gärtnerei statt, die 80% der europäischen Print und Online Gartenzeitschriften mit Bildern versorgt. Daher stehen überall auf dem Gelände Kulissen. Hausfassaden ohne Haus dahinter, Zaunelemente, die nichts einzäunen, gut aussehende Hühner vor einem Tiny House, in dem niemand wohnt.
In, auf und über den Kulissen bersten Rosensträucher, wachsen Pfirsichbäumchen im Kübel, leuchten Walderdbeeren vor ins Gras gelegten Weidenkörben.
Ich bin nicht hier, um Fotografieren zu lernen. Ein Teil des Gewächshauses wird für Tagungen und Seminare vermietet. Die Inhalte der Fortbildung weichen drastisch ab von dem hier geschaffenen hortus concluses. Die Theorie ist dicht, die Praxisübungen noch dichter, es wird präzise beobachtet, umgesetzt und von Ausbilderinnen geprüft. In mehreren Runden wird jeder Schritt auf seine Wirkung hin analysiert, weitere Optionen angeschnitten, kleinteilig von den Teilnehmern rückgekoppelt.
Um so froher bin ich, in den Pausen und an den Abenden zwischen Fenchelbeeten zu streunen, an allem zu riechen, unter rauschenden Linden zu liegen. Der Chefgärtner läuft heiter und original mit Hut, Shorts und grüner Gießkanne durchs Bild und fordert uns auf, bitte viele Erdbeeren zu essen. Er ist kein Statist.
Ich denke hier oft an Tschechow, Sokolow, Anna Achmatowa. In Tschechows Gesellschaften werden mit Vorliebe an heißen Sommertagen Theaterkulissen in den Garten des Landguts gezimmert, ein Pappmond in den Baum gehängt, den Zusammenkommenden ein Text ausgehändigt. Und da stehen sie dann.
Irina: “Als ich heute erwachte, aufstand und mich wusch, schien es mir plötzlich, als sei mir alles klar auf der Welt, und ich wusste, wie man zu leben hat.”
Platonow: “Aber trotzdem begann der Kummer der allgemeinen Lage Woschtschew wieder zu quälen, er spürte manchmal das gesamte äußere Leben als das eigene Innere.”
Achmatowa: “Wir werden nicht aus einem Glase trinken, kein Wasser und auch keinen süßen Wein, des Morgens nicht in einem Kuss versinken, noch aus dem Fenster sehen im Abendschein.”
Sokolow: “Da kommt ein Soldat mit einer Feldmütze, nimmt ein Stück Kreide und geht auf den Waggon zu, er schreibt: Noch zwei Monate beim Barras. Da kommt ein Bergmann, seine weiße Hand schreibt lakonisch: Säue. Ein Sitzenbleiber der fünften Klasse schreibt: Marija Stepanna - Hure. Eine Bahnhofsarbeiterin in einer organgefarbenen Weste zeichnet auf den Waggon eine Wellenlinie. Ein Bettler mit Ziehharmonika nur zwei Worte: vielen Dank. Schließlich verlässt der Zug das Abstellgleis und rattert durch die Weiten Russlands.