An einem schwülen Freitagnachmittag finde ich mich auf dem Sofa ruhend, während eine Freundin Avocado, Koriander und Karottenstreifen zu Sommerrollen wickelt, Sesam einstreut, gebratenes Ei, das Reispapier unter ihren Händen faltet und legt.

Regen war angekündigt, er kommt aber nicht, wir sitzen mit einem kleinen Pulk Freunden in der Wohnung, verspeisen drei Gänge verschiedenster Herrlichkeiten, kleckern mit dem sofort schmelzenden Eis, durch die geöffneten Fenster dringt kein Luftzug. Stehende, unbewegte Wärme, ein rares Phänomen so nah an den Bergen, der dicke unentschlossene Horizont über uns harrt aus. In der Dämmerung später stehen drei der Freunde auf dem Balkon an das Holz gelehnt, mit ihren nackten Füßen sich die Waden kratzend, Stand- und Spielbein wechselnd, verschollen in einer Unterhaltung, der ich akustisch nicht folgen kann - der Bewegung ihrer Lippen aber; so tagesmüde und vertraut.

Am Samstag schließlich kommt der Regen, kurz bevor es dunkel wird, gerade hernieder prasselnd, ohne Wind und Dynamik, in vertikalen Linien von oben nach unten, ich bin das nicht mehr gewohnt nach den vielen Stürmen in diesem Jahr.

Augustmond. Gegen 1 Uhr nachts werde ich wach und bin irritiert über die Helligkeit im Zimmer. Dann sehe ich den weißen Himmelskörper. Seine milchig gelbe Aura bescheint die umliegenden Wolken, die verwaschen blau in unmittelbarer Nähe und blassrosa in weiterer Distanz zu ihm leuchten. Mondhof wird dieser Ring genannt. Er entsteht durch die Beugung des Lichts an den Wassertropfen der Wolken. Der Mond wirkt groß, die dunklen Tiefebenen der Krater klar abgegrenzt von den höheren Flächen.

Ich wünschte, er wäre anfassbar und ich könnte meine Hand auf seine vernarbte Haut legen. Aber auch die Astronauten haben ihn nicht direkt, ohne Handschuhe, berührt. Es gab keinen textilfreien Kontakt zwischen den Menschen und ihm.

Nils Frahm: The whole universe wants to be touched

Wegen der geringeren Schwerkraft wiegen wir auf dem Mond nur 1/6 unseres irdischen Eigengewichts. Das wären in meinem Fall etwa 9 kg. Wir können auch sechs mal höher springen.
Dafür laufen wir sechs mal langsamer.

Langsam laufen. Etwas daran ist so faszinierend. Zum aus der Haut fahren. Und parallel zum wirklich drin sein, in der Haut und in den Gefühlen.

Am Tag darauf höre ich beim Nachhausekommen kurz vor Mitternacht eines der Schafe vom Hof an der Kreuzung blöken. Das ist nicht ungewöhnlich, nur scheint das Mähen etwas jünger und dringender als sonst. Gegen 5 Uhr werde ich wach, weil das Blöken jetzt sehr nah ist, als stünde das Schaf direkt vor der Tür. Nach einer Weile entfernt es sich wieder und ich schlafe ein. Am anderen Vormittag sehe ich es dann. Es ist ein noch junges, braunes Schaf, das allein durch die Gärten der Nachbarschaft irrt und konstant ruft und offensichtlich seine Herde sucht. Wahrscheinlich ist es gestern aus dem Hof ausgebüxt und hat sich auf dem Rückweg verlaufen. Verschiedene Nachbarn sind im Einsatz, um es einzukreisen, der Hofbesitzer ist auch dabei. Es ist nicht leicht, ein verstörtes Tier zu fangen, aber es gelingt und das Schaf wird auf dem Arm zur Herde zurück getragen.

Was mich noch beschäftigt: Das Schaf irrte in sichtbarer Entfernung zum Hof herum. Ich würde sagen, 50 Meter Luftlinie zwischen Schaf und Scheune, in der die Herde nachts steht. Dennoch hat es nicht zurück gefunden. Sind Schafe ohne ihre Sippe wirklich so schnell überfordert? Oder handelte es sich bei diesem Schaf um ein besonders desorientiertes? Ist das Schaf krank? Gehts dem Muttertier nicht gut? Warum hat der Rest der Herde nicht laut zurück geblökt, um das Schaf in die Scheune zu lotsen?

Die Ärztin sagt, ich darf frühestens in zwei bis vier Wochen mit dem Tanzen anfangen; ich soll es langsam und behutsam tun, viele Pausen einlegen, nicht in die Vollbelastung gehen, keine Sprünge, keine Verdrehungen und erst ab Oktober mit physiotherapeutischer Unterstützung in das reguläre Training einsteigen, falls keine Schmerzen auftauchen.

Während ich mental zu allem Ja sage und es absolut vernünftig finde, so vorzugehen, muss ich emotional ziemlich schlucken. Bis in den Winter all der Bewegung in mir nicht ungehindert nachgeben zu können, setzt mir ganz schön zu. Es konfrontiert mich noch mal mit der hartnäckigen Vorstellung, ich müsste auf eine bestimmte Art und Weise leben, tanzen, um mich dabei gut zu fühlen. Eigentlich weiß ich aus Erfahrung, dass dem nicht so ist.

Im Gegenteil, verhindert gerade die Vorstellung, wie etwas abzulaufen hat, den Genuss. Ich erinnere mich, unzählige Male im Sitzen getanzt zu haben, auf dem Boden liegend oder nur mit dem Nacken, nur mit den Fingern. Der Endorphinschauer setzt fast immer ein. Wenn ich nicht mehr will, als ich kann.

Ich kann es aber auch nicht beschönigen; mein Radius ist eingeschränkt und wird es vorläufig bleiben. Ich verliere etwas, jeden Tag. Dieser Kontrollverlust zieht Kreise. Er nagt sich durch meine Bilder, meine Lust, meine Kompetenzen und mein Sicherungssystem. Daneben gibt es Momente, in denen ich ahne, wie ich auf der anderen Seite dieser Angelegenheit, dieser Affäre, herauskommen könnte, wenn ich es schaffe, sie zu einer Liebesaffäre mit mir zu machen. Ich könnte weich sein, eine Wasserpflanze, Nixe, mitschwimmen, mit dem Strom, ich könnte dem Leben gehören, anstatt das Leben mir.

Im Meer ist dein Weg,
deine Pfade sind in großen Wassern.
[Psalmen]

Success has nothing to teach you spiritually after age thirty. It just feels good. Everything you learn at my age is by failure, humiliation, and suffering; things falling apart.
[Richard Rohr]

And by love, dear Richard, you learn by love, möchte ich hinzufügen. Aber das weiß und sagt er selber, an anderer Stelle, tausendfach.

Ach Richard, ich mag dich so, du alter bald sterbender Mann.

Das ist ein Stretching, das mir gefällt und das ich mittlerweile sogar aushalte: Dafür zu arbeiten, damit andere Menschen und ich sicher sind, handeln können, zugreifen, spielen und in Beziehung treten. Und gleichzeitig genau das immer wieder zu verlieren.

Auch die Illusion zu verlieren, etwas Lebendiges benutzen, verzwecken zu können.