Dann geschieht Folgendes in folgender Reihenfolge
Mein Cousin stirbt an Corona. Einen Tag darauf beginnt Putin einen Krieg in der Ukraine. Ich fahre zu der Beerdigung des Cousins. Spreche mit Freunden über ihn, über die Ukraine und fahre zurück. In München helfe ich bei der Unterkunftsvermittlung für Geflüchtete. Tagsüber treffe ich Familien aus Charkiw, nachts versuche ich mich davon abzuhalten, Kriegsvideos anzuschauen.Dann stirbt mein Patensohn. Ich fahre zu der Mutter des Jungen. Organisiere die Beerdigung, organisiere ihren Umzug und spreche täglich mit Polizisten. Bei der Trauerfeier stehen Jungs und Mädchen in der Halle, die mit ihm gefeiert haben in der Nacht vor seinem Tod. Die Trauerrednerin verneigt sich vor dem Sarg. Es schneit und ist sehr kalt. Er war 19 Jahre alt.
Das alles ist nur erträglich, weil ich fühlen kann, was passiert, während all das passiert. Weil ich nicht mehr hart bin und nicht allein. Ich weine in der U-Bahn und im Zug. Im Wald, im Auto, im Flur, bei der Etatverteilung und beim Abschließen des Büros, während ich seine letzten Nachrichten an mich lese, während die Sargträger vor uns herlaufen und als jemand in der ersten furchtbaren Stunde eine Hand auf meinen Rücken legt. Es ist erträglich, weil Fremde und Freunde sofort bereit sind, etwas zu tun, etwas zur Verfügung zu stellen, auf irgendeine Weise dabei zu sein. Ich kann nicht beurteilen, ob es für die Mutter erträglich ist. Ich fürchte, sowas bringt einen um.