Es ist der Tag des gesegneten Pferds
Einmal im Jahr wird hier für die Pferde gebetet. Dazu werden ihnen Frisuren geflochten, Bänder und Rosen in die Mähne gesteckt, die Schweife gekämmt, das Geschirr mit Schellen behängt. Manche der Pferde ziehen Holzwagen, die einzig zu diesem Zweck seit Jahrzehnten gewartet, gestrichen, lackiert und am Morgen der Segnung mit Blumenbouquets gekrönt werden. Der Maximalismus, mit dem in dieser Gegend die Mensch-Tier-Beziehung (oder Mensch-ehemaliges-Arbeitsgerät-Beziehung) gefeiert wird: ich bin sehr angetan.
Ich war nie ein Pferdemädchen, kann mir aber vorstellen, wie erhebend es für 15-Jährige ist, auf einem großen schwarzen Wallach zur Kapelle zu reiten und dabei von allen gesehen zu werden. Die Mädchen an diesem Tag. Sie sind noch stärker als die Pferde.
Auf den Bänken vorm Haus sitzen die Alten, daneben Eltern mit Kindern, fast alle in Tracht. Jugendliche springen auf die Trittbretter der Wagen, führen Ponys an der Leine oder lenken Kutschen. Die Sonne kracht vom blauen Himmel herunter, es liegen Frechheit, Stolz und Kulturgläubigkeit in der Luft, wie ich sie, so entschlossen zelebriert, nur aus Bayern kenne.
Als der Umzug vorüber ist fahren wir zum Fluss. Er sieht harmlos aus an dieser Stelle. Das täuscht. Die Strömung in der Mitte ist reissend, ich kann nicht gegen die Fließrichtung anschwimmen. Zwei Bachstelzen hüpfen am Ufer herum. Können Steine in der Sonne bleichen? Sie wirken wie Wäsche, die ihre Farbe verloren hat.
Im Kiesbett liegend denke ich an das Wenglein-Gemälde Kalksteinsammlerinnen im Isarbett…
In unserem Rücken bewegen sich Weiden, ein weißer Schmetterling von der Größe meiner Hand landet auf der Schafgarbe. Ich weiß nicht wie ich das sagen soll: Es ist, als hätte ich mir dieses Leben vor langer Zeit ausgedacht. Und als sei ich dann da hineingegangen.
Und daneben die Gewissheit: Ich habe mir den Zustand, in dem ich jetzt bin, diese Gefühlslage, diese Beziehungen, diesen Ort weder nur erarbeitet, noch nur Glück gehabt. Wenn ich es beziffern wollte und das will ich manchmal, würde ich meinen Beitrag daran auf etwa 10 Prozent festlegen. Den ganzen Rest haben andere geleistet, erarbeitet, mir geschenkt, mir überlassen, auch ohne mich zu meinen. Es ist eine solche Legierung, in der man lebt. Eine Legierung aus wirklich allem.
Auch merke ich hier: Ich bin so viel Gutes nicht gewohnt. Dass meine Sinne fast konstant offen bleiben können und ich mich nicht mehr oft verschließen muss. Dass es genug Raum und Schönheit gibt. Erreichbar für mich.