Einen Nachmittag lang verbringe ich bei 30 Grad unter einem roten Sonnenschirm. Ich trinke Earl Grey in kleinen Schlucken, die Freunde Kaffee oder kaltes Wasser. Über den Feldern flimmert die Hitze, das bei der Heuernte vom Wagen herunter gefallene Gras trocknet auf den Kieswegen weiter. Wir schauen zwischen den Bergflanken in die Weite und erzählen uns die Ereignisse der letzten Wochen. Auf dem Tisch steht Zucchinikuchen mit Limettenguss. Ich bin lange nicht mehr im Schatten eines solchen Schirms gesessen, wie ein Schlumpf unter dem Fliegenpilz.

In der Institution schnalzen innerhalb von fünf Tagen alle Projekte, die ich mühsam in Reihenfolge gebracht hatte, gleichzeitig zurück. Kaum ist das Gröbste durch, kommen Leute mit neuen Ideen = Mehrarbeit auf mich zu. Ich beobachte mich dabei, wie ich zu allem Nein sage, Zeug wegdelegiere und andere für zuständig erkläre. Das funktioniert erstaunlich gut. Habe ich es final doch noch gelernt.

Samstagabend gehe ich in die Halle im Park, um den anderen zuzuschauen. Vor der Tür steht der syrische Freund, ich erwähne bei der Begrüßung meinen noch nicht wieder heilen Knochen und dass ich brav auf dem Boden sitzen werde. Ich muss es nicht allen erzählen, aber denjenigen, die einen gern bei der Hand nehmen und mitziehen im Eifer der Freude. Drinnen läuft der Techniker herum, Stella ist nicht da. Die Musik beginnt mit einer Art Alphawellen-Sound, der recht steil in Elektro übergeht. Ich merke den Leuten ihre ausgeruhten Gliedmaße und die Sommerpause an, sie werfen sich ohne viel Vorlauf in den Ring. Es entsteht ein Sog, in dem die Einzelnen aufgenommen und vermengt werden, bevor es die Tanzenden wieder an den Rand auf ihre eigene Bahn drückt. Heute ist es abgedunkelter als sonst, aber ich sehe ein paar Vertraute.

Auf dem Boden bilden sich unterdessen Pfützen, die Haare tropfen, die Ventilatoren bewirken nichts, das Parkett glitscht. Alle hier haben ihre Angelegenheiten und werden in der Minute des Verlassens der Halle Handys aus den Taschen ziehen, auf Displays schauen, mitten drin sein in Bewertung, Verantwortung, Verwirrung und dem Versuch, etwas zu steuern. Aber nicht jetzt. Jetzt sind sie hier. Jetzt überlassen sie sich. Jetzt retten sie ihre Seele.

In this here place, we flesh. [Toni Morrison]

Am Mittwoch schaue ich ein gebrauchtes Elektroauto an. Der Verkäufer ist auskunftsfreudig, aber ich habe den Eindruck, er verberge etwas. Bei der Probefahrt halte ich auf einem einsamen Schotterweg, steige aus, lege mich auf die Straße und robbe mit dem Kopf so weit ich kann unter das Auto. Der Boden ist sehr verrostet. Bremsbacken und andere Teile, die ich nicht benennen kann, auch. Ich fahre das Auto zurück und verabschiede mich.

Im Garten passiert etwas Seltsames. Nachdem drei Jahre die Schnecken, Blattfäule, Baumfäule, der steinige Boden, kalte Nächte, Stürme und meine Unerfahrenheit Wachstum verhindert haben, wachsen die Pflanzen. Nicht jeder Strauch und jede Blume, aber manche. Es entsteht ein Zusammenhang, vielleicht sogar Momentum. Eine Ahnung davon, wie aus diesem dreieckigen Restgrundstück in weiteren Jahren ein Ort werden könnte, in dem jemand in der Hängematte liegt.

Einen Nachmittag lang probiere ich mit Kolleg*innen Übungen aus und bin froh mit ihnen ein Experimentierfeld und Spielplatz zu haben, auf dem ich testen kann, was ich mir ausdenke. Am Ende komme ich mit zweiundhalb anwendbaren Interaktionsvorschlägen aus der Sache raus. Ich bin so glücklich über diesen Spielplatz, dass ich bis nachts um 3 nicht einschlafen kann. Es ist die Zu-viel-Glück-Schlaflosigkeit.

Die Milane kreisen über den Häusern und stoßen feine helle Schreie aus. Morgens steigt Nebel über dem Moor auf, in dem die jungen Birken am Straßenrand verschwinden. Am Schienennetz wird etwas erneuert, ich verbringe einiges an Zeit in Bussen, die an Maisfeldern vorbei zur nächst größeren Bahnstation wackeln. Ich kann morgens um Sechs nicht denken und bin eigentlich nicht mal richtig da, aber ich spüre meine Hände im Schoß liegen und wie ich aufbewahrt bin in diesem Leben, zwischen diesen Menschen, in dieser Behausung.

Love your hands! Kiss them. Touch others with them, pat them together, stroke them on your face. Love your mouth… This is flesh… Flesh that needs to be loved. Feet that need to rest and to dance; backs that need support; shoulders that need arms, strong arms.
Love your neck; put a hand on it, grace it, stroke it and hold it up.

And all your inside parts… you got to love them. The dark, dark liver - love it, love it, and the beat and beating heart, love that too. More than eyes or feet, more than lungs, more than your life-holding womb and your life-giving private parts, love your heart. For this is the prize. [Toni Morrison]

Diese Satzfragmente gehören zu einem längeren Abschnitt aus Toni Morrisons “Beloved”, der Geschichte einer ehemaligen Sklavin, die von der erlittenen Brutalität und Grausamkeit heimgesucht wird. Die in dem Text beschriebene Hinwendung zum Körper ist keineswegs eine Art Luxus-Selfcare, die sich jemand gönnt, der bereits alles mögliche erreicht hat. Sie ist nicht die Sahnehaube auf einem privilegierten und abgesicherten Leben, sondern eine Antwort auf Schmerz und Gewalt in unaushaltbaren Zuständen.

Auf Toni Morrison Worte bin ich aufmerksam geworden über Maria Popovas Blog