einander nicht aufzugeben
Fünf Tage Training mit Kollegen. Gleich am zweiten Tag kommt es zu erheblichen Reibereien. Dennoch weiß ich, dass diese Erfahrung, diese Realität gut ist, nicht gegen, sondern für mich. Ich kann hier alles lernen, was ich für die nächste Zeit brauche und werde wachsen, wenn ich mich von diesen Menschen fordern lasse. Drei oder vier Mal weiß ich nicht weiter, gehe auf Personen zu und sage: Ich weiß gerade nicht weiter. Kannst du mich halten, kann ich mich anlehnen, kannst du mir mal fest in die Augen schauen?
Und dann das Wegschieben. All die Leute, die ich wegschieben darf, wegdrücken, auf Abstand bringen. Leute, die mich fragen, wieviel Widerstand ich von ihnen brauche, damit ich meine Stärke fühlen kann. Und ich sage: viel, viel, gib mir mehr, mehr Widerstand. Muskulär und emotional endlich in der Lage dazu zu sein, es endlich zu Ende zu bringen. Danach Blickkontakt und mit meinem Gegenüber verbunden zu sein ohne etwas von mir auszusparen. Keiner, der hinterher verletzt ist oder mich anders haben will. Wie eine zweite Wiege; mit mir von vorn anzufangen, während ich in der Mitte bin. Ist das nicht eigentlich der große Trieb, nachdem etwa 40 Jahre gelebt sind, nicht die Gleiche zu bleiben.
Es wird ein paar Grad wärmer, der Schnee ist fast weg, aber der Wind weiterhin bissig. Die Füchse sind jetzt geschlechtsreif; groß, prall und bereit. Im Morgengrauen und in der Nacht stehen sie am Waldrand nahe der Straße in ihrer unfassbaren Sexyness, Dopamin am Anschlag. Ich fahre extra langsam vorbei, falls eine von ihnen auf die Fahrbahn springt.
Die Zenmeisterin spricht 30 Minuten vom Auflösen der Dualität. Ich möchte bei jedem zweiten Satz “ja, aber” sagen. Ja, aber erstmal richtig Ankommen in der Dualität. Ja, aber erstmal klarkommen damit. Die Ich-Du Trennung überhaupt erstmal vollziehen. Daran reifen, das feiern, aushalten, verhandeln können. Bevor man versucht, sich in eine größere Einheit hineinzumeditieren. Bevor so was wie Allverbundenheit ahnbar wird. Nachdem ich zwei Tage auf diesem Zen-Groll sitze, gehe ich zu ihr und sage es. Wie fast immer, wenn ich Streitgespräche nicht in meinem Kopf, sondern mit der betreffenden Person real führe, endet es gut. Befriedigend. Ich bin sicher, wäre sie nicht eine in Alltag und Beziehungen so sattelfest verankerte Frau, könnte ich kein Zen von ihr lernen.
Im vom Winter versehrten Garten sieht alles tot aus. Mitte Februar. Zwei, drei Wochen noch, dann werden wir wieder auf Bürgersteigen sitzen, ins Licht blinzeln, uns entblättern, vielleicht eine Zigarette rauchen, die Flanke eines anderen Menschen an der Seite, nach Haut riechen in der lauen Abendluft.
Eine Freundin und ich verabreden uns in einer Tagesbar am Museum, trinken Kaffee in braunen Möbeln und hören italienisches Radio. Zwei Stunden in einer holzvertäfelten Nische dieser Stadt zu verweilen und in ein lebendiges Gesicht zu schauen macht vieles gut, was ungut ist. Am Abend fahre ich zu einem Tanz in kleiner Runde in eine Villa an den Stadtrand, wo ich zufällig auf meinen neuen Freund aus San Francisco treffe. Wir bewegen uns wie Wasserpflanzen aneinander vorbei, später begleitet er mich ans Gleis, wir reden bis die Türen schließen und dann durch die Scheibe mit Handzeichen weiter. Es gibt so viel zu sagen und zu lachen. Sein Deutsch ist auf einem Niveau, auf dem er wirklich alles falsch versteht.