Ich besuche einen Menschen auf der Akutstation einer Einrichtung, wappne mich, erinnere mich an das, was ich schon gesehen habe und bin doch wieder von Wucht und Realität dieser Orte ziemlich mitgenommen.

Die, wie in einem absichtlich schlecht ausgeleuchteten Filmset, grau wirkenden Flure, bedrückenden Möbel und Panzerglasfenster im Aufenthaltsraum. Das konstante Klappern der Schlüsselbunde des auf- und zuschließenden Personals, Durchsuchen der Taschen und unter Beobachtung miteinander sprechen Müssen neben dem Fehlen jeglicher stofflicher Wärme. Eine ausdrücklich auf das Verhindern von Verletzung und Flucht hin gestaltete Umgebung. Die uns begleitende Pflegerin in den eineinhalb Stunden immerhin verhält sich taktvoll, was mich erleichtert. Auf dem kurzen Spaziergang über das Gelände wechsele ich ein paar Worte mit ihr und weiß hinterher, dass zumindest eine emotional ansprechbare Person hier arbeitet, vielleicht sogar mehrere.

Die Fahrt davor und danach über die Autobahn wird begleitet vom Rattern eines lose werdenden Blechs am Unterboden des Wagens, eventuell auch eines sich anbahnenden größeren Defekts. Ich kann mich jetzt nicht damit beschäftigen, sollte es aber bald. Bis dahin höre ich zu, wie etwas kaputt geht.

Später am Abend treffe ich in einem fast leeren Hotel ein. Der dicke Teppich in den Gängen schluckt Geräusche, auch meine Schritte, die darin einsinken, mich in eine leicht sedierte Verfassung befördern und nivellieren, was ich mitbringe; das ist jetzt alles ein bisschen egal. Ich dusche heiß und lang und schlafe bald ein.

Am nächsten Morgen eine dünn besetzte Frühstückslounge. Leise bedeutungslose Musik, während ich um eine für mich frühe Zeit Kaffee trinke. Eine schwarz gekleidete Bedienung, die freundlich und wortarm Geschirr wegträgt, kommt zwei Mal vorbei. Ich mag sie für ihre rücksichtsvolle Bewegung, als sie sich über den Tisch und halb über meine Schulter beugen muss. Angenehm, diese Leere heute, sage ich zu ihr. Finde ich auch, sagt sie.

In der Institution starte ich in die Einarbeitung zweier neuer Mitarbeiter. Das stundenlange Erklären und Reden zapft viel ab von meinem pro Tag zur Verfügung stehenden Kontingent an Energie, worüber ich mich hinwegtröste mit der Aussicht auf echte Entlastung in zwei Arbeitsfeldern irgendwann in den kommenden 6 Monaten. Abends gehen wir indisch essen, ich verliere eine Wette, eine zweite teaminterne Wette läuft noch, wofür am Montag ein Kollege mit Maßband von uns vermessen wird.

Montagabend sitze ich in der Zenschule zwei Stunden auf dem Kissen und schaue zur Wand. Die erste Stunde finde ich es toll, dann wird mir langweilig, dann halte ich dieses Herum-Meditieren für eine bescheuerte, elitäre und todesverherrlichende Veranstaltung, kurz darauf fällt mir eine Anekdote aus dem Freundeskreis ein, ich unterdrücke einen Lachanfall, beruhige mich wieder, höre einer anderen Person bei einem zehnminütigen Hustenanfall zu, es folgt der Gong, ich stehe auf, verneige mich, singe ein Gelübde und gehe nach Hause.

Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich da tue.

Manchmal ist die Reihenfolge auch umgekehrt. Es fängt langweilig und nervig an, wird besser, entpuppt sich, nimmt Fahrt auf, bis ich zwischen diesen Menschen und meiner Ewigkeit sitze, wie in einem weit aufgespannten Zelt und alles gleichzeitig spüren und betasten kann.

Vor Kurzem bin ich mit einem Kind durch einen ungewöhnlich warmen spätherbstlichen Tag zurück zum Zuhause des Kindes gelaufen. Wir haben Laternenlieder gesungen. Eines der Lieder endet mit einem langezogenen Hu. Als ich mit meinem Mund das u formte und neben meinem Ton den Ton des Kindes hörte, wurde mir klar, dass es ab jetzt immer einen Ort in mir geben wird, in dem dieses Kind und ich an einem Tag im Herbst durch die warme Luft nach Hause gehen und gemeinsam singen.

Die Arbeit in der Praxis macht in diesem Winter besonders Spaß. Das liegt auch am Abschluss der Renovierungsarbeiten und den in allen Lampen eingedrehten warmgelben Leuchtmitteln, an der kleinen eleganten Teeküche und den bequemen Sesseln in den Besprechungszimmern. Weil ich mir die Praxis mit anderen Kolleginnen teile, liegen Entscheidungen zu Einrichtungsdetails manchmal lange in der Klärungsschleife.

Das oben erwähnte Kind malt/schreibt mir einen Brief und schickt ihn in die Praxis. Die Kolleginnen lehnen den Brief gut sichtbar an die hölzerne Eule auf dem Schreibtisch, damit ich ihn gleich sehe, wenn ich reinkomme.

In der ersten Dezemberwoche lässt langsam die Raserei des Novembers nach, mein Nacken wird wieder weich und die Termine schmelzen zu einem Pensum, bei dem ich mich als tatkräftig empfinden kann, ohne zu eilen. Ich mag diesen Zustand. Ich mag ihn sehr.