In dieser Nacht tanzt der syrische Freund in der Mitte der Halle, in der Mitte der Mitte aller anwesenden Menschen, mit nacktem Oberkörper, schreiend, lachend. Die anderen springen ihn an, die anderen schreien mit ihm, immer wieder hängt ihm jemand am Hals. Später am Ausgang sage ich, geh nicht, du bist wichtig für die community hier, wir lieben dich, du hast zwei Heimat, eine alte, eine neue.

Er sagt, dass er nicht zurück will, aber seine Eltern, Familie, die werden vielleicht gehen, ob er dann bleibt, ist ungewiss. Und ich denke, auch als er sein T-Shirt schon wieder trägt und hinten bei der Technik Kabel aufrollt, dass er überlebt hat, davon gekommen, seine Haut heil ist, nicht den Tätern in die Hände gefallen. Eine Rettung, die nicht passiert ist, sondern gemacht, entschieden wurde, ganz konkret von einer Kanzlerin, deren Partei ich nie gewählt habe und die uns doch diesen Edelstein an Mitmensch beschert hat.

In der Institution ist das Jahresende ein Sprint mit unterbesetzter Belegschaft, ich weiß trotz zügiger Arbeitsweise morgens oft nicht, wie das gehen soll, vor 19 Uhr fertig zu werden. Dennoch und gerade deswegen schiebe ich um 11 Uhr am Mittwoch einen Wagen mit Teeservice in mein Büro, die Assistentin aus der Geschäftsleitung kommt runter und ein paar andere dazu. Wir starten die Blindverkostung verschiedener Sorten Chaitee. In den Küchen auf den fünf Etagen der Institution kursieren diverse Teebeutel von dm, Alnatura und Produkte anderer Hersteller. Ich hatte am Morgen die Überzeugung geäußert, dass nur die Teekannen-Marke trinkbar, der Rest Plörre ist. Wir testen in kleinen Tassen und verteilen Noten. Häufige Bemerkung der Probanden:

  • schmeckt nach nix
  • zu viel Zimt
  • zu gesund, igitt

Die einzig einstimmig für gut bis sehr gut befundene Sorte ist die von Teekanne. Kleine Genugtuung des Rechthabens. Zum Abschluss brühen wir einen losen, von Kollegen aus Indien mitgebrachten, Assamtee mit Milch auf und stehen schlürfend an die Regale gelehnt, als hätten wir die Zeit.

Zwei Tage spiele ich mit dem Gedanken, zwischen den Jahren Reißaus zu nehmen, mich Freunden in Prag anzuschließen, in einer Kathedrale zu dem Sound eines DJs zu feiern, keinen Plan zu haben, der Gruppendynamik zu folgen wie ein Schaf. Dann fällt mir ein, dass die kommenden zwei Wochen vielleicht die einzigen für lange Zeit sein werden, in denen ich terminlos über die Felder streifen, den Füchsen im Schnee zusehen kann und sage Prag ab.

An meinem ersten freien Tag schlafe ich knapp zwölf Stunden, mache einen Spaziergang, esse und schlafe gleich wieder ein. Auch in der Folgenacht schlafe ich sehr lang, ohne Infekt, ohne krank, es ist einfach Winter und zu viel Arbeit gewesen.

Am anderen Morgen sehe ich drei, große, rote Füchse in ihrem, um diese Jahreszeit, dichten Pelz. Über ihnen der weite blaugraue Himmel, unter ihnen Frost, angeblich soll es an Weihnachten noch mal einen halben Meter schneien. Ich hole Zweige aus dem Wald. Im November wurden Fichten gefällt, an der Kreuzung liegen Reste, aus denen ich einen Türkranz binde.

Dann treffe ich einen neuen Freund, einen vor wenigen Wochen aus San Francisco her gezogenen Mann, dessen Hund gerade gestorben ist. Auf meine Frage, warum er die USA verlassen hat, antwortet er, aus Angst vor Trump und weil die Tanzszene hier inklusiver ist und weil die Deutschen so schön langsam leben.

Das beschäftigt mich lange. Weil ich ja denke, dass nur Menschen südlich der Alpen schön langsam leben. Und ich mir gar nicht ausmalen will, wie furchtbar es woanders sein muss, wenn man München als erholsam langsam empfindet.

Eine Freundin macht Seifen mit fairtrade gehandelter Sheabutter und bringt die Seifen in einem schweren Koffer in die Stadt. Es ist einer der für mich wichtigen Dezemberhöhepunkte, wenn diese Lieferung eintrifft und es danach wochenlang im Badezimmer nach Rosmarin, Ginkgo und Bergamotte riecht.