Nadelbäume
In dieser Nacht tanzt der syrische Freund in der Mitte der Halle, in der Mitte der Mitte aller anwesenden Menschen, mit nacktem Oberkörper, schreiend, lachend. Die anderen springen ihn an, die anderen schreien mit ihm, immer wieder hängt ihm jemand am Hals. Später am Ausgang sage ich, geh nicht, du bist wichtig für die community hier, wir lieben dich, du hast zwei Heimat, eine alte, eine neue.
Und ich denke, auch als er sein T-Shirt schon wieder trägt und hinten bei der Technik Kabel aufrollt, dass er überlebt hat, davon gekommen, seine Haut heil ist, nicht den Tätern in die Hände gefallen. Eine Rettung, die nicht passiert ist, sondern gemacht, entschieden wurde, ganz konkret von einer Kanzlerin, deren Partei ich nie gewählt habe und die uns doch diesen Edelstein an Mitmensch beschert hat.
Zwei Tage spiele ich mit dem Gedanken, zwischen den Jahren Reißaus zu nehmen, mich Freunden in Prag anzuschließen, in einer Kathedrale zu dem Sound eines DJs zu feiern, keinen Plan zu haben, der Gruppendynamik zu folgen wie ein Schaf. Dann fällt mir ein, dass die kommenden zwei Wochen vielleicht die einzigen für lange Zeit sein werden, in denen ich terminlos über die Felder streifen, den Füchsen im Schnee zusehen kann und sage Prag ab.
An meinem ersten freien Tag schlafe ich knapp zwölf Stunden, mache einen Spaziergang, esse und schlafe gleich wieder ein. Auch in der Folgenacht schlafe ich sehr lang, ohne Infekt, ohne krank, es ist einfach Winter und viel Arbeit gewesen.