Am Abend braten wir Auberginen und schichten sie in eine Auflaufform. In den Pinien vor dem Fenster sitzt ein Kuckuck und ruft, ihm antworten Elstern, Käuzchen und Grillen, die den Garten um das steinerne Haus bewohnen. Wir sind eines der wenigen Lichter auf dem Hügel, es ist dunkel, der Mond scheint nicht.

Nach dem Essen, die Teller stehen noch auf dem Tisch, nimmt einer der Anwesenden das Akkordeon zur Hand und spielt Pop der späten Neunziger, langsam und getragen, die Melodien dehnend bis sie zu etwas werden, das Folklore sein könnte oder Fado. Ich sitze auf dem Vorsprung des Kamins und sehe dem Akkordeonspieler dabei zu, müde, die Lippen manchmal eine Strophe mitsingend, wenn ich nicht seit zwanzig Jahren in diesen Mann verliebt wäre, ich würde mich jetzt verlieben.

Am anderen Morgen mache ich Pfannkuchen, während mir die Freundin den Espresso reicht. Später geht sie im von Pinienzapfen übersäten Hof auf und ab, einen Stab über ihren Rücken schwingend, sich darunter duckend, wendend, eine Choreographie wie aus der Feder eines Samurai, geschrieben für Frauen mit langen, hellen Haaren und entschlossenen Gedanken. In wenigen Tagen wird sie damit zu sehen sein, auf einer Bühne in Deutschland, weit weg von hier.

Unterdessen befestigt jemand auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes eine Hängematte. Die sachgerechte Verknotung des Seils am Baum gibt Anlass zu einem zeitlich überschwänglich geführten Austausch bisheriger Erfahrungen mit Knoten für verschiedene Lebenssituationen, während sich die Kaffeetassen weiter leeren, der Tag dahin geht, neu gelernte Worte und Phrasen angewandt werden. Der Luxus über nichts zu reden. Nichts von Belang. Mit großer Liebe und Zuwendung füreinander und für diesen sonnigen Morgen auf einem einsamen Hügel. Es werden sich in den folgenden Stunden unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise dem Gefühl des Gewogen Werdens in der Hängematte überlassen und unterschiedlich lang darin verbleiben.

Ich denke an das Wasser, als ich in der Hängematte liege, an den Strand gestern und die Senioren, die mit ihren wunderschönen, alten Körpern daran entlang flanierten, uns später am Kassenautomat Münzen wechselten und winkten, bis wir durch die Schranke des Parkplatzes fuhren. Einen Moment lang war ich in totaler Sprach- und Handlungslosigkeit vor dem Automat gestanden, überfordert mit den bunten Hinweisen und Pfeilen, auf die Nachfrage der hinter mir Wartenden kein Wort heraus bringend, weder in der Landessprache noch in meiner Muttersprache, bis die Senioren fürsorglich das Ruder übernahmen, alle Knöpfe drückten, wechselten und lächelten bis ich aus meiner Zungensperre wieder raus war.

In der Hängematte werde ich schläfrig, ich ziehe mich zurück in den Schatten meines Zimmers, wo zwei Geckos diagonal über die Wände laufen, um die Ecke schauen, wenn sich Türen öffnen und ihren fabelhaft beweglichen Rumpf in Richtung des jeweiligen Interesses biegen. Ein Königreich für einen solchen Rumpf. Draußen zieht ein Gewitter auf, es wird den gesamten weiten Himmel überziehen, erst lautlos und fern, dann nah einschlagend, Blitz und Donner keine Sekunde mehr voneinander getrennt. Ich erinnere mich an die alte, vor einiger Zeit in dieser Gegend angetroffene, Amerikanerin, die auf meine Frage, warum sie hier her ausgewandert war, antwortete: Wegen der dramatischen Gewitter. Wegen der Gefühle der Protagonisten in den Filmen der 60‘er Jahre, entfacht und ausgehalten unter zu heißen Nachmittagen und ausgetragen unter solchen Stürmen nach Mitternacht. Ich kenne die Filme, von denen sie gesprochen hat. Ich weiß, was sie damit meint und frage mich, ob sie bekommen hat, was sie wollte. Der Mann an ihrer Seite war sehr dünn, als ich die beiden kennenlernte, sie pflegte ihn, zusammen mit einer Frau aus dem Dorf. Die Töpferei hinter dem Haus und die Werkstatt lagen brach, unbenutzt, seit vielen Jahren, ein Garten voller Skulpturen und Schalen, die niemand mehr kaufte, das gemeinsame Leben zusammengeschrumpft auf einen minimalen Radius. Es endet alles. Irgendwie muss es enden. Zum Schluss endet es sehr konkret. Ich nehme Richard Rohr zur Hand und lese:

filling the tragic gap
with pure presence
often in the presence
of nothing or even death

Das Gewitter rauscht noch eine Stunde weiter, dann geht es über in einen feinen konstanten Regen, die bis dahin trockenen Felder werden später in einem etwas dunkleren Braun den Hügel strukturieren. Es wird schon wieder warm. Auf das Wetter hier ist Verlass.

Am andern Morgen gehe ich spazieren, die auf dem Schilf landenden Libellen sind purpurrot, am Wegesrand blüht wilder Fenchel, dessen Blüten ich zwischen meinen Fingern zerreibe. Wie wenig Überwindung diese Landschaft von mir verlangt. Der Wärmegrad des Wassers ist nur Einladung und keine Herausforderung, die Luft ist mild, die Pflanzen sind mild, die Begegnungen mit den Einheimischen mild, alle wollen freundlich sein und sind es. Ich weiß, dass auch hier Härte und Ausgrenzung, das Erstarken faschistischer Parteien und die Folgen erodierender Lebensräume dauerhaft präsent sind. Ich werde während meines kurzen Aufenthalts nicht damit konfrontiert, weil ich eine Hautfarbe habe, die mir viele Türen öffnet sowie die Statussymbole eines geregelten Einkommens und Verhaltensweisen, die niemandes Weltsicht herausfordern. Es ist nicht gerecht, dass ich aufgenommen und angelächelt werde und andere nicht. Dennoch trifft und beruhigt mich diese anhaltende, großzügige Zugewandtheit und eine unspezifische, aus meinem Herkunftsland mitgebrachte, Fracht fällt von mir ab.

Am Nachmittag danach gehen wir die Straßen rauf in das Dorf auf dem nächst gelegenen Hügel. Das eine Lokal, in dem sich alle Bewohner des Ortes treffen, fungiert tagsüber als Frühstückscafe und Eisdiele, am frühen Abend als Tresen für den Aperitif und ab 21 Uhr als Karaokebar. Ein Mann singt mehrere Schlager und bekommt von uns viel Applaus, seine Freundin drängt uns, nach vorne zu kommen, wir lehnen mehrmals dankend ab, lassen uns aber nachhaltig euphorisieren von dem Sound der Platten unserer Eltern. Disko. Am anderen Tag bei einer Fahrt durch das Hinterland fällt auf, wie häufig hier ein bestimmtes Modell eines Elektroautoherstellers in der Farbe Weiß gefahren wird. Vielleicht gab es da vor einiger Zeit ein Angebot. Es muss eingeschlagen haben wie ein Bombe.

Es bleibt dann nicht aus, dass wir einmal länger an einem Tisch zusammensitzen und Wissen, Halbwissen und ehemaligen Rechercheeifer bezüglich des römischen Imperiums des 5. Jahrhunderts kurz vor seinem Niedergang zusammentragen. Die ausgegrabenen Fußbodenheizungen römisch angelegter Bauernhöfe in den bayerischen Bergregionen, Erbrecht, Versorgungslinien, Rasur, diese ganze abartig fortgeschrittene strukturelle Überlegenheit. Und wie das hier später kein Imperium mehr ist, aber immer noch Menschen wie uns in sich hineinmagnetisiert. Und wie ab dem 18. Jahrhundert lauter junge deutsche Schreiberlinge mit Sehnsucht in den Augen über die Alpen rennen, verklärte Briefe nach Hause schreiben, Reisetagebücher und Romanfragmente, in denen sie mit Schrecken und Lust feststellen, nur ein wenig Sonne, Ästhetik und Sauerkrautpause zu benötigen, um sich besser zu fühlen, und eben nicht Ehre, Karriere und was ihr Vaterland ihnen noch alles eingebläut hatte.

Wir übergeben die Schlüssel und verabschieden uns, die Wildschweinjagdsaison beginnt. Beim Zurückkommen bewegt ein sachter Wind die Hibiskussträucher, deren Blütenköpfe aufgegangen sind in meiner Abwesenheit. Es ist still in der Nachbarschaft, über dem Feld kreisen zwei Milane. Im Briefkasten liegt ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung, sie fragt, was ich im Oktober 1997 getan habe. Ich weiß es nicht, liebe Rentenversicherung. Ich nehme an, und hoffe, nichts.