Wildgänse are back
Das warst du
und das war ich
wie du mit mir begonnen hast
vor dem Betreten eines konkreten Raums
Ich weiß, dass es mich gerade tiefer rein reißt, als ich das für möglich gehalten oder geplant habe. Gewollt habe ich es aber immer. Mich zu verschwenden an Tag und Nacht, an jede wache Stunde, an jedes Gefühl. Aus dem Augenwinkel kann ich noch wahrnehmen, dass andere es sehen und vielleicht ungewöhnlich finden. Ein Winkel wacht, der Rest hat kapituliert. Die Bewegung in mir aufzuschieben bis sie in dafür vorgesehenen Räumen angelangt ist - das geht nicht mehr. Es bricht jetzt an allen Ecken und Kanten durch; ich tanze in der U-Bahn, beim Einkaufen, beim Warten im Vorzimmer des Arztes, im Flur der Institution, während ich an den Regalen einer Buchhandlung entlang gehe. Ein Kollege, der im gleichen Abteil der U-Bahn sitzt und den ich bis kurz vorm Aussteigen nicht bemerke, strahlt mich an und sagt, es ist wunderschön an deiner Lebendigkeit teilzuhaben.
Ja, solche Kollegen habe ich. Solche Menschen zirkulieren in meinem Radius, tanzen gleich mit oder lächeln verständnisvoll aus ihren papierliebenden, gut strukturierten Gesichtern.
Die Lyrikfreundin besucht mich, ich hole sie vom Zug, laufe mit ausgebreiteten Armen übers Gleis, wo sie den Rollkoffer fallen lässt und mich auffängt. Als hätten wir keine Furcht vor Pathos. Zwei letzte kalte Tage liegen wir auf dem Teppich vor dem Ofen und lesen uns Gedichte vor. Suppe und Waffeln und keine Zigaretten. Rein und versponnen sind wir in diesen zwei Tagen wie zuletzt vor zwanzig Jahren. Dann kommen die Wildgänse zurück, ich stehe im Stroh am Feldrand und höre ihren heiseren Schrei über meinen Kopf hinweg.
We admire needing no one. Apparently the Trinity admires needing. Needing everything – total communion with all things and all beings. [Richard Rohr]
Während der Fortbildung in der Woche darauf pausiere ich gern und oft in der Sofalandschaft an dem einen Ende des Raums, wo ich döse oder Tee trinke oder mit den Beinen baumel. In den fünf Tagen kommt annähernd jede und jeder der Teilnehmenden mindestens einmal hier zum Stehen, zum Halten, legt sich mit dazu oder gleich in meinem Arm. Eine strikt wirkende Kollegin, die außerhalb des fachlichen Kontexts manchmal etwas verloren durch die Gruppe stelzt, traut sich bis zur Sofakante heran. Ich sage, neben mir ist Platz, worauf sie sich an meine Seite setzt und für einen Moment ihren Kopf auf meine Schulter legt. So sitzen wir nebeneinander, während andere dazukommen, Salat aus Papierschalen essen, Kaffeebecher abstellen und von Schweizer Technoclubs plaudern. Ich höre die strikt wirkende Kollegin, zum ersten Mal seit ich sie kenne, tief ausatmen.
Und dann die Nächte. Wechselndes Licht, wechselnde dunkle Himmel. Stellas schwarzes Haar, die silbernen Streifen darin. Finger und Hände der anderen zu greifen, reinzuschwingen in ihre Umlaufbahn, mich ziehen zu lassen und nicht zu widerstehen. Keine Angst mehr vor diesem schmelzendem Kontakt mit der Welt zu haben; bei vollem Bewusstsein aufzugeben.
Einen Samstag danach hocke ich in der Aprilsonne in der Mitte der Stadt auf einem grünen Streifen unter alten hohen Eichen. Es riecht nach einer Vorstufe von blühendem Baum oder Blumen. Meine Bauchdecke hebt und senkt sich. Der alte Rilke-Satz. Eins muss ich wieder können; fallen. Ich kaufe Rosenöl, reibe es in meine Armbeugen und tue meine Arbeit ohne Hast.