Am vorletzten Tag bevor es endlich warm wird, stehen wir erneut auf einem Berg im Wind, frierend, tapfer, unglücklich. Auf dem Gruppenfoto sind nur Ausschnitte von Gesichtern unter Wollmützen, Kapuzenpullovern und Softshellhauben zu sehen. Es ist natürlich trotzdem besser, als in der Wohnung zu sitzen und sich nicht zu bewegen. Und am Ende ist es ja alles Kitt, die vielen widrigen Erfahrungen, die man gemeinsam macht.

In der Institution steht der Jahresurlaub der Fremdsprachenmeisterin an und es ist der erste, dem ich nicht mit Sorge entgegen sehe. Ich hätte mir, als ich vor drei Jahren bei ihr anfing, gewünscht, die Auseinandersetzung mit der Materie von einer Kollegin zu lernen, die etwas langsamer im Kopf ist, linear vorgeht, weniger viel weiß, weniger als 17 offene Tabs auf dem Bildschirm hat und weniger volle Kaffeetassen auf bedrohlich schwankenden Papierstapeln abstellt. Ich neigte zum damaligen Zeitpunkt zu der Unterstellung, ein unordentlicher Schreibtisch ziehe fehlerhaftes Arbeiten nach sich und würde in aufwendigen Korrekturläufen münden. Ich sollte mich sehr irren.

Mittlerweile habe ich selbst Papierstapel angelegt, Kopien von Übersetzungsvorlagen aus so zum Teil nicht mehr verlegten und online nicht existenten Werken, Tabellen für neue und alte griechische Buchstaben, Transkriptionen und Transliteration, Reihenangaben, die von türkischen und rumänischen Verlagen gern verwendet werden, Kodierung für Literaturnachweise auf Arabisch und Farsi. Es wird und es wird besser. Dennoch übe ich bei jedem Urlaub der Meisterin den endgültigen beruflichen Abschied von ihr, der irgendwann, ich hoffe nicht zu bald, eintreten wird. Mit ihr geht nicht nur implizites Wissen, das in keinen Papierstapel Eingang gefunden hat, sondern auch eine der letzten Mitarbeiterinnen, die im Stundentakt runter in den Hof gehen, um dort am Lüftungsschacht eine zu rauchen.

Auf der Hauptversammlung spricht ein Mitarbeiter der obersten Stadtbaurätin und stellt den Stadtentwicklungsplan vor. Es geht darum, trotz Erschließung weiterer Neubaugebiete und Nachverdichtung, Kaltluftschneisen aus dem unverbauten Umland frei zu halten, um zu verhindern, dass die für das Jahr 2040 in München prognostizierten Sommertemperaturen ein Niveau erreichen, wie es zurzeit in Mailand üblich ist.

Er erwähnt in einem Nebensatz den Stadtentwicklungsplan von 1983, in dem eigentlich vorgesehen war, eine Autobahn direkt am Sendlinger Tor enden zu lassen. Wer oder was das Vorhaben gestoppt hat, erzählt er leider nicht. Die Pause der Hauptversammlung besteht im Wesentlichen darin, an der Brezelstation eine Brezel zu essen und dann mit Laugenkrümeln im Mundwinkel innerhalb von 20 Minuten möglichst viele Kolleginnen und Kollegen zu sprechen, die zu sprechen ein Jahr lang nicht geklappt hat.

Am Dienstag fallen wegen einer Signalstörung für mehrere Stunden in beide Richtungen die S-Bahnen aus und weil es hier draußen kaum Busse gibt, wird ein Ersatzverkehr mit Taxen eingerichtet. Eine viertel Stunde später sitze ich mit einer Handvoll 15-Jähriger in einem Großraumtaxi, das uns zum nächsten Bahnhof bringt – im Wageninneren teenagerbedingtes stoisches Schweigen und aneinander Vorbeisehen, aber beim Aussteigen wendet jeder einzelne Junge brav den Kopf zum Fahrer, bedankt sich und wünscht noch einen schönen Tag. Ich muss manchmal so lachen. Die Kinder aus dem bayerischen Oberland. Wie gut erzogen die sind.

Die Hortensien haben überlebt. Es geht ihnen nicht gut, aber sie stehen. Am Wochenende wurde Heu gemacht. In der jetzt stoppelkurzen Wiese sind abends die Fuchsjungen zu sehen. Ihre noch etwas ungelenken Mausjagdversuche in der untergehenden Sonne. Alle paar Minuten werden sie müde, rollen sich ein und schlafen einen Moment, ehe es weitergeht.