Wenn es viel regnet, will ich beim S-Bahnfahren elektronische Musik hören. Dabei lande ich immer wieder bei Jean-Michel Jarre. Es stellt sich in dieser Woche eine angenehme Synchronizität ein zwischen seinem 1976 erschienen Album Oxygène und dem vertieften Atmen, das ich aktuell lerne und in der S-Bahn übe. Vor etwa fünf Jahren hat ca. ein Viertel meines Bekanntenkreises mit breath work, Atemyoga, vollständiger Atmung und Ähnlichem begonnen. Ich war sofort dagegen. Das ist mir jetzt unangenehm zuzugeben, aber es ist so. Sobald etwas ein Trend wird, sträube ich mich. Das bewahrt mich davor, manche Dummheit zu machen, es bremst mich allerdings auch dabei, notwendige Schritte zu gehen, die zufällig ein Viertel meines Bekanntenkreises vor mir getan hat. Ich war nicht dagegen im Sinne eines offen geführten Kampfes, sondern im Sinne eines mir sehr vertrauten, introvertierten, stillen, zähen Verweigerns.

Es hat alles angefangen mit Qigong, 2004. In der Theaterschule damals stand jeden Montag von 8 - 9 Uhr Qigong auf dem Stundenplan und innerhalb der ersten drei Minuten der ersten Einheit an dem ersten Tag war mir klar, dass ich nicht atmen kann. Dass ich beim Versuch in meine Brust oder gar in meinen Bauch zu atmen, aggressiv werde (und bin) und diese Aggression nicht Montags um 8 mit mir unzuverlässig erscheinenden Mitschülern teilen will. Ich habe deshalb so oft wie möglich die erste Stunde geschwänzt, mich gefreut, wenn die Trainerin krank war und flach geatmet, bis die Theaterzeit um war. Man kann sich denken, dass dabei nicht viel rausgekommen ist.

2012 traf ich in einem Schwabinger Kellerstudio zum ersten Mal auf meine Tanzlehrerin und habe mich auf der Stelle in sie verliebt. Wie jedes Kind durch Nachahmung lernt, war ich in den ersten Monaten überwiegend damit beschäftigt, ihr hinterher zu trotteln, irgendwie mitzukommen und sie ergriffen anzuschauen. Sie hat immer sehr liebevoll zurückgeschaut und getan, was eine für mich ideale Mutter tun würde. Dem Prozess vertraut. Wieder ein Jahr darauf ist mir im steten Beisein ihres Körpers so langsam gedämmert, dass ich niemals auch nur ansatzweise versammelt und aus meinem Wesen heraus tanzen werde, wenn ich nicht zumindest den Versuch unternehme, wenigstens hier, in dem Schwabinger Kellerstudio, in meinen Bauch zu atmen, genauer; in mein Becken.

2015 habe ich es dann parallel noch mal mit Zen probiert. Es ging etwas besser. Mittlerweile hatte ich vor meiner Aggression weniger Respekt und an meiner Seite Leute, die mir gezeigt haben, wie ich durch Emotionen gehen kann, ohne mich darin aufzulösen oder davon weggerissen zu werden. Das Atmen blieb trotzdem mittelmäßig.

Erst im letzten Sommer, der Sommer, als ich beinahe täglich am Fluss saß, die Steine von links nach rechts gedreht und mein Gehirn bei dreißig Grad in den Zustand geistiger Umnachtung versetzt habe, sah ich einmal zufällig runter auf meine Bauchdecke, die sich eindeutig hob und senkte. Hob und senkte. Wie ein ganz normaler Mensch. Ich hab viel geweint an diesem Fluss. Ich war eine Lache aus Dankbarkeit.