Es schneit in dicken Flocken. Beim morgendlichen Vorhangzurückziehen stellen sich tschechische Märchenfilmimpulse ein. Kurz lockt der Gedanke mit offenen Haaren und nichts als einer Schafwollweste überm Leinenkleid in den Schnee zu rennen, ehe beim Öffnen des Fensters dieser Gedanke im Keim erfriert. Diese Wochen sind nur mit Outdoorkleidung zu bewältigen. Outdoorkleidung der Sorte, die mehr mit Astronautenanzügen als mit Impulsen gemein hat.

Wenn ich in Sozialen Netzwerken Fotos sehe von Menschen, die vor winterlich anmutender Landschaft in knöchelfreien Jeans und lose um sich geschlungenen Schals Winter-coziness ablichten, weiß ich, dass bei denen nicht wirklich Winter ist. Dass diese Leute gerade einen etwas kälteren Tag in Texas erleben oder eine sachte Schneewehe im Süden Frankreichs.

Wenn hier Winter ist geht nicht mehr viel. Tagsüber ist das anstrengend, weil man ja doch manchmal einkaufen oder zu einer S-Bahnstation fahren muss und dabei alles mitnimmt: Schneegestöber, Glatteis, kaum Sicht, eingefrorene Schlösser, am Holzboden festgefrorene Stiefel.

Dafür sind die Nächte selten schön. Still und zugedeckt von der weißen Masse. Die Kapelle auf dem Feld unter einer orthodoxen Schneelast, noch entrückter als sonst.

Bei einem Onlinemeeting zu den Vorschriften im neuen Gebäude weist die Abteilungsleitung darauf hin, keine Nacktkalender mehr in den Büros zu dulden. Man muss sich das vorstellen. Meine Kolleginnen und Kollegen, die mitunter 7-8 Jahre brauchen, ehe sie einem das Du anbieten, die präferiert hochgeschlossene Kleidung in gedeckten Farben tragen, die auch nicht unter äußerster Bemühung ihres Willens dazu in der Lage sind, in der Anwesenheit einer anderen Person ein vulgäres Wort über ihre Lippen zu bringen. Von diesen Menschen soll jemand einen Nacktkalender in seinem Büro hängen gehabt haben, sichtbar? Natürlich verleitet mich die Erwähnung der neuen Vorschrift zu zeitintensiven Überlegungen. Wo könnte besagter Kalender gehangen haben; bei externen Mitarbeitern im Magazin, Praktikanten in den Ausweichbüros oder in einem der Lager, wo ausrangierte Mikrowellen und Tastaturen gestapelt werden? Ich unterstelle den übrigen Teilnehmern des Meetings ähnliche Erwägungen. Ein paar sehe ich verhalten lachen - stumm geschaltet.

Unterdessen habe ich es nicht geschafft vor dem Kälteeinbruch den kranken Baum im Garten zu beschneiden. Eigentlich spricht alles dafür, ihn zu fällen. Ich sag das nicht gern, aber es ist so: Dieser Baum bringt nichts. Und es braucht mindestens ein Peter Wohlleben’sches Verständnis vom Wert eines Baumes, um ihm einen etwaigen unterirdischen Nutzen bei der Versorgung anderer Bäume zuzugestehen. Oberirdisch ist der Baum eine Katastrophe. Aber ich will nicht vorschnell handeln und lasse mich gern von Gandalf erziehen: Man weiß nie wofür ein anderes Wesen noch da ist. Es war ja auch zum Schluss Gollum, der den Ring endgültig entsorgt hat. Und nicht Frodo. Wir erinnern uns.

Wenn ich das Geld zusammen habe, wird sich vielleicht ein professioneller Baumschneider das mal ansehen. Und dann schauen wir weiter. Es schneit immer noch. Es schneit den ganzen Tag.