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Relativ viele Münchner tragen Urlaubsspuren in diversen Verblassungsgraden am Leib; bedenklich dunkel gebräunte Haut zwischen T-Shirtausschnitt und Rucksack, nachblutende abgeklebte Tattoos auf Unterarmen, Sonnenbrillen, die in Campingshops am Mittelmeer gekauft wurden, nachdem die eigene irgendwo liegen geblieben ist - vermutlich in einer Tankstellentoilette am Brenner.
An einem kühlen Sonntag stehen wir auf einem Berg vor der Ruine einer bis auf die Grundmauern abgetragenen Alm, die Holzwände sind wohl schon vor Jahrzehnten eingestürzt oder verbrannt. Innerhalb des von Steinen umgrenzten ehemaligen Wohnraums hat sich ein Mikroklima gebildet, in dem rot und violett leuchtende Sträucher gedeihen. Sie scheinen nur die 2-3 Grad mehr Wärme und etwas Windschutz zu benötigen, um jetzt im Herbst ein Farbspektrum hervorzubringen, das hier sonst nicht existiert.
„Man mag sagen, was man will, der Katholizismus ist eine gute Sommerreligion. Es lässt sich gut liegen auf den Bänken dieser alten Dome, man genießt dort die kühle Andacht, ein heiliges Dolce far niente, man betet und träumt und sündigt in Gedanken, und die Madonnen nicken so verzeihend aus ihren Nischen.“
[Heinrich Heine]
Es gab eine Zeit, in der ich mit toten, durch Europa reisenden Schriftstellern eine solch fortgeschrittene Obsession entwickelt hatte, Personal vergangener Epochen dem gegenwärtigen soweit vorzog, dass schließlich auch mir eine gewisse Schädlichkeit darin auffiel und ich meine mangelnde Kontaktbereitschaft der lebenden Umwelt gegenüber überdachte.
Meine Kontaktbereitschaft ist mittlerweile moderat bis gut ausgeprägt, vor allem wenn ich mit ein paar Vertrauten zwei Stunden durch Wald und Dickicht einer abgelegenen Gegend spazieren kann. Am erwähnten Sonntag folgte der Ruine ein selten begangener Pfad, der vorbei an feuchten, morschen Bäumen und dunkelgrünem Farn bis runter an das Wasserbecken eines Flussarms führte. Alleine wäre ich nicht hineingegangen, an diesem bewölkten und reichlich kalten Tag, die nackte Haut der anderen jedoch und ihre platzenden Münder als das Wasser ihren Bauchnabel erreichte…
Ich denke, das ist der Sinn von Herden, Sippen, Schwärmen und zusammen lebenden Säugetieren, auch den vernunftbegabten Säugetieren: mitzugehen, wenn die anderen ziehen, sich verführen zu lassen von ihrer Bewegung, reinzuschlittern in Zustände, Gefühle und Reifungsgrade, die allein nicht zu erlangen sind.