In der Nacht Schnee. Am Morgen biegen sich die Zweige der Sträucher unter der Last bis zum Boden. Ich gehe zum Hof mit den Ziegen, die Äpfel und Karotten menschlicher Nähe vorziehen, sich aber dazu bequemen, wenn es kein Essen gibt, etwas Gestreicheltwerden entgegen zu nehmen. Ich mag den talg-fettigen Film auf meinen Fingern hinterher.

Die Wolken in der Dämmerung ziehen wie große, alte Tiere, eine gigantische Herde, einander schiebend und überholend, in die Nacht. Im Süden geht eine messerscharf geschnittene Mondsichel unter, eine Handbreit darüber Venus, als hingen die beiden zusammen; ein Schriftzug lesbar in allen Sprachen.

Zwei Tage liege ich mit Halsschmerzen im Bett und habe Glück oder doch genug Vitamin C konsumiert, es verläuft jedenfalls glimpflich und ist bald vorbei. Es folgt ein tauender, milder 6. Januar. Auf den Pfaden ums Feld fließt der Schnee zu Rinnsalen, Bächen und temporären Teichen zusammen; ein Delta des Auflösens und Schmelzens.

Als ich später vor dem Haus stehe, um Holz herein zu holen, ziehen gerade die Heiligen Drei Könige vorbei. Sie kommen heran, segnen mich mit verschiedenen Versen und halten dabei die ganze Zeit Blickkontakt. Alle vier Kinder schauen mich über mehrere Minuten hinweg unentwegt an. Es sind vier, ich weiß nicht warum. Eines hält den Stab mit Pappstern oben drauf, eines schwenkt das Gefäß mit Weihrauch, eines hat eingerissene Mundwinkel und eines hat sich eine interessante Frisur gemacht. Alle tragen eine Art Brokatvorhangstoff und darunter mit Kordeln zusammengehaltenes weißes Leinen. Als der Moment gekommen ist, die Buchstaben auf die Tür zu schreiben, bringe ich einen Stuhl aus der Küche, damit das Kind mit der Kreide in der Hand raufklettern und nach oben reichen kann. Das Kind sagt: Aber ich hab doch Straßenschuhe an. Das macht nichts, erwidere ich und stütze es, bis der Schriftzug an die Tür gemalt ist. Dann segne ich die Kinder zurück und wir verabschieden uns.

Als sie weg sind denke ich eine Stunde lang darüber nach, wie wahrscheinlich es ist, dass sich im Jahr 2025 vier Kinder als Wahrsager und astrologische Gelehrte verkleiden, eine Legende nachspielend um die Häuser ziehen, dabei Gebete sprechen und eine unsichtbare Macht auf mich herunter schwören. Anstatt zu Haus an der Playstation zu sitzen. Noch unwahrscheinlicher, dass sie das mit ausgesprochen sozialen Fertigkeiten und zwischenmenschlicher Reife tun.

Dann denke ich weiter und frage mich, was die Kinder an diesem Ritus motiviert? Was sie dabei fühlen? Fühlen sie etwas wie Würde oder Bedeutung oder eine glitzernde Halloween/Faschings-ähnliche Lust minus den Zucker? Oder befriedigt es eine tiefe kindliche Spiritualität, Teil zu sein eines Zusammenhangs, ein Partikel im aufgeladenen Raum, ein Signal, eine Sendung, die älter ist, als Eltern und Großeltern und alle Toten auf dem Friedhof? Und falls sie nichts von all dem empfinden und doch lieber zu Hause an der Playstation sitzen würden, bemerken sie dann trotzdem, dass ich und vielleicht auch andere sie empfangen, als wären sie eine Sendung, ein Brief, Mondsichel und Venus, das kosmische Zeichen, ein Kontaktangebot?