Es stürmt vier Tage und Nächte. Ich weiß nicht, wie das Leute machen, die an Küsten leben. Den ganzen Tag Wind? Wie soll man da zur Ruhe kommen. Ich habe mal jemand sagen hören, Erziehern, Landwirtinnen und Pflegerinnen von demenzkranken Menschen sei das Phänomen bekannt. Ab einer gewissen Windstärke drehen die Anvertrauten ab. Die allgemeine Schusseligkeit, Gereiztheit und Bereitschaft, lang aufgesparte Emotionen umgebremst in die Gruppe zu kanalisieren, springt wetterbedingt auf ein Monatshoch, pädagogische Interventionsversuche schlagen fehl, am Abend liegen alle heulend und zerstritten im Bett. Es ist so lächerlich und beschränkt, ein Mensch zu sein. Man ist einfach allem ausgeliefert.

Am Ende der Woche ist Streik. Es wird skandiert, gefordert und gebuht, wenn von dem Angebot unseres Arbeitgebers die Rede ist. Ich verhalte mich auf solchen Veranstaltungen eher still, trage keine Leuchtweste und pfeife nicht auf Pfeifen, aber halte mit den Kolleginnen eines der Banner bei der Kundgebung. Was soll man machen? Wir müssen da alle zwei bis drei Jahre wieder durch.

Jetzt wo der Winter aufhört stehe ich manchmal bei 13 Grad und temporärem Sonnenschein an eine Hauswand gedrückt oder in der Glaseinhausung einer Trambahnstation oder an einem Feldrand in der immer noch kahlen, schlammgrauen, ausharrenden Landschaft und verorte mich in diesem März, als Davongekommene. Als auf der anderen Seite des Winters Herausgekommene.

Am Samstag feiern wir den Geburtstag eines Freundes. Wir sitzen in einem dunklen Raum auf einer Decke am Boden und essen Suppe aus Müslischalen. Es gibt 9 Flaschen Bier, die sich 15 Leute teilen, verklebte Salzstreuer und eine recht spontan zusammen gekommene Gästerunde, darunter Menschen, die ich zum ersten Mal sehe. Die Feierlichkeiten in letzter Zeit kehren optisch und choreographisch zunehmend zurück in die WGs, aus denen sie ursprünglich entwichen sind. Es fehlen nur noch tropfende Kerzen auf unter Wachs kaum mehr zu erkennenden Weinflaschen und verwursteltes Bettzeug in der Ecke. Ich weiß nicht wann der Trend umgekehrt ist und sich auf den Heimweg gemacht hat. Vor Kurzem noch saßen wir allwöchentlich gepflegt an anspruchsvoll ausgeleuchteten Tafeln mit einheitlichem Geschirr, in unserem Schoß Leinenservietten, auf den Lippen teurer Alkohol, im Ofen libanesische Cuisine, für die jemand stundenlang in der Küche gestanden hatte.

Am Samstag jedenfalls ist das Essen zwar da, spielt aber keine tragende Rolle, der hereingebrachte Kuchen wird beklatscht, der Freund besungen und dann die Playlist angeschmissen. Der Rest ist Tanz und in dunklen Winkeln stehende Menschen, vertieft in irgendwas, manchmal ineinander. Es ist ein gutes Fest, um wieder Haut, Blut und Knochen zu werden, nachdem man eine Woche lang meinte, es ginge darum, Resultate zu erzielen. Ich freue mich wie ein Kind, als ich gegen Ende des Abends mit ein paar Tanzenden in synchrone Bewegungen verfalle, darunter Menschen, die ich eigentlich nicht kenne, aber in dem Moment doch erkenne.