You who are broken open

Wir sitzen auf einem Berg und schauen zu. Ein paar Meter entfernt stehen die Kühe und schauen zu. Dahinter die Gämse, Ameisenhaufen und Alpensalamander - alle schauen ihm zu. Er kann Kung Fu.

Es ist der Tag, an dem ein Freund uns an seinem 7 Jahre währenden Kung Fu Training in Form einer kleinen Kampfeinlage vor Bergpanorama teilhaben lässt.

Es ist der Tag, an dem 2/5 der Gruppe nackt in die Gumpe springen, Gedichtfragmente aufgesagt werden und 40 Zecken an einem einzigen Mann hängen. Der Tag des Kreislaufs, der flüssigen Schokoladenkekse und nachgeholten Erzählungen. Es ist vor allem der Tag des Zurückschauens auf den elendlangen Weg hin zu dieser heute okayen Körperlichkeit. Sich einigermaßen eingerichtet, vielleicht sogar mal kurz Zuneigung gefühlt zu haben für diese Gefährtin, die überall dabei war und alles bezeugt.

Ich muss, eigentlich immer, wenn ich eine demenzkranke Person treffe, daran denken, wie das Gehirn dieser Person jetzt nicht mehr weiß, was war. Ihr Körper aber schon. Und wie auch ich, als kognitiv noch intakte Person, nicht mehr weiß, was vor meinem 3. Lebensjahr war. Mein Körper aber schon.

Wie mein Körper alles fühlte und nicht abhauen und sich nicht rausfantasieren konnte. Wie er alle Emotionen ausgetragen hat und dies weiterhin tut und abbildet.

Wir sind erst spät zu Hause an dem Abend. Es reicht nur noch für Rucksack leeren und Licht ausmachen. Die Kühe, die Ameisen und Alpensalamander - sie werden noch bis tief in die Nacht von ihm reden. Martial Arts, werden sie sagen, once in a lifetime.

Es ist der Tag des gesegneten Pferds

Einmal im Jahr wird hier für die Pferde gebetet. Dazu werden ihnen Frisuren geflochten, Bänder und Rosen in die Mähne gesteckt, die Schweife gekämmt, das Geschirr mit Schellen behängt. Manche der Pferde ziehen Holzwagen, die einzig zu diesem Zweck seit Jahrzehnten gewartet, gestrichen, lackiert und am Morgen der Segnung mit Blumenbouquets gekrönt werden. Der Maximalismus, mit dem in dieser Gegend die Mensch-Tier-Beziehung (oder Mensch-ehemaliges-Arbeitsgerät-Beziehung) gefeiert wird: ich bin sehr angetan.

Ich war nie ein Pferdemädchen, kann mir aber vorstellen, wie erhebend es für 15-Jährige ist, auf einem großen schwarzen Wallach zur Kapelle zu reiten und dabei von allen gesehen zu werden. Die Mädchen an diesem Tag. Sie sind noch stärker als die Pferde.

Auf den Bänken vorm Haus sitzen die Alten, daneben Eltern mit Kindern, fast alle in Tracht. Jugendliche springen auf die Trittbretter der Wagen, führen Ponys an der Leine oder lenken Kutschen. Die Sonne kracht vom blauen Himmel herunter, es liegen Frechheit, Stolz und Kulturgläubigkeit in der Luft, wie ich sie, so entschlossen zelebriert, nur aus Bayern kenne.

Als der Umzug vorüber ist fahren wir zum Fluss. Er sieht harmlos aus an dieser Stelle. Das täuscht. Die Strömung in der Mitte ist reissend, ich kann nicht gegen die Fließrichtung anschwimmen. Zwei Bachstelzen hüpfen am Ufer herum. Können Steine in der Sonne bleichen? Sie wirken wie Wäsche, die ihre Farbe verloren hat.

Im Kiesbett liegend denke ich an das Wenglein-Gemälde Kalksteinsammlerinnen im Isarbett…
In unserem Rücken bewegen sich Weiden, ein weißer Schmetterling von der Größe meiner Hand landet auf der Schafgarbe. Ich weiß nicht wie ich das sagen soll: Es ist, als hätte ich mir dieses Leben vor langer Zeit ausgedacht. Und als sei ich dann da hineingegangen.

Und daneben die Gewissheit: Ich habe mir den Zustand, in dem ich jetzt bin, diese Gefühlslage, diese Beziehungen, diesen Ort weder nur erarbeitet, noch nur Glück gehabt. Wenn ich es beziffern wollte und das will ich manchmal, würde ich meinen Beitrag daran auf etwa 10 Prozent festlegen. Den ganzen Rest haben andere geleistet, erarbeitet, mir geschenkt, mir überlassen, auch ohne mich zu meinen. Es ist eine solche Legierung, in der man lebt. Eine Legierung aus wirklich allem.

Auch merke ich hier: Ich bin so viel Gutes nicht gewohnt. Dass meine Sinne fast konstant offen bleiben können und ich mich nicht mehr oft verschließen muss. Dass es genug Raum und Schönheit gibt. Erreichbar für mich.

Es ist der Tag des Schilfs, der Schlange und der Wasserlilie.

Wir gehen zu einem See, der nicht mehr lange ein See sein wird, denn sein Boden wächst der Wasseroberfläche entgegen. Tief und klar genug zum Baden ist der See aber noch, das scheinen die alten Frauen des angrenzenden Dorfes genau zu wissen. Mit hundertjährigem Katholizismus und Gicht in den Gelenken und nichts als ihrem Badeanzug am Leib wackeln sie die Dorfstraße entlang zum Wasser.

Wir liegen an einem Steg und hören zu. Was die erwähnte Generation ja sehr gern macht ist schwimmen und gleichzeitig reden. So auch hier die badenden Damen. Sie redem vom Hans, der einen Schlaganfall hatte und jetzt halb tot ist. Von der letzten Beerdigung, die irgendjemand nicht angemessen ausgerichtet hat, was eine Schande ist. Von dem anderen Hans, der eine Affäre im Nachbardorf hatte, aus der ein Kind hervorgegangen ist und das Kind ist jetzt eine erwachsene Frau und macht irgendwas.
Dann sind die beiden genug geschwommen und steigen aus dem Wasser. Tropfnass wackeln sie zu ihren Häusern zurück. Ohne Handtuch. So heiß ist es heute.

Am See ist es jetzt still, wir liegen auf den morschen Stegbrettern, das Schilf rauscht im sachten Wind. Nach einer Weile packen wir zusammen und fahren zum Fluss. Am Fluss weht mehr Wind, das Wasser ist kälter und genau richtig, eine kleine schwarze Schlange schwimmt vorbei, die Kiefern am sandigen Ufer riechen nach Kiefer. Sonst fällt nichts vor. Die Schlange und eine kurze Aufregung darum ist alles, was der Tag an Adrenalin zu bieten hat.

Am Abend komme ich im Kapitel ‘Organische psychische Störungen/Demenzen/Alzheimer’ an. Die Reisberg-Skala, der graduelle Abbau kognitiver Fähigkeiten, die Wesensveränderungen, und warum frühe Symptome einer Demenz häufig mit Depression und Affektstörung verwechselt werden. Mir wird klarer, warum neulich die Ärzte zu einer Freundin sagten, sie wissen noch nicht, ob die Mutter der Freundin Demenz oder Depressionen oder einen Schlaganfall oder einen Hirntumor hat. Im Moment sei alles möglich.

Juli

Die Tendenz der letzten Jahre, sich mit Bienen und Imkerei zu befassen, Maja Lunde zu lesen und Insektenhotels zurecht zu sägen ist an mir vorbeigegangen. Daher erkenne ich erst jetzt, im Angesicht des Lavendels, dass es einige Dutzend (?) verschiedene Bienenarten in dieser Gegend geben muss. Es landen pelzige und wenig behaarte, schlanke und beleibte Tiere, manche fliegen taumelnd, andere orientiert, es gibt gute Kletterer neben Verwandten, die ständig von lila Skabiosablüten herunter stürzen.

Nachts sind die Fenster weit geöffnet. Es riecht nach Heu. Der Mond geht auf, ich will wach bleiben und ihn lange anschauen, aber die Müdigkeit ist größer und der nächste Tag beginnt um 6, damit ein Stapel ukrainischer Kindergeldanträge nicht noch länger liegen bleibt. Das Arbeitspensum ist in diesen Tagen sonderbar unstet. Entweder es flutet unkontrolliert herein oder zerrinnt zu einem buchstäblichen Nichts. Ich kenne in meiner temporären Aushilfstätigkeit die Prozesse nicht gut genug um zu verstehen, an welcher Stelle es hängt, wo es sich aufhält oder aufgehalten wird, das Pensum.

Ein Freund war ziemlich mitgenommen, jetzt geht es ihm besser, ich freue mich. Ein anderer Freund ist sehr krank, ich habe Angst, ihn zu verlieren. In letzter Zeit ist häufig plötzlich etwas für immer vorbei gewesen. Das bringt eine gewisse Dringlichkeit in alle meine Begegnungen und Gespräche. Ich weiß nicht, ob es meinem jeweiligen Gegenüber auffällt. Ob das gut ist. Ob es nervt. Ich dachte, ich hätte einen Umgang mit der prinzipiellen Vergänglichkeit aller Erscheinungen gefunden. Aber das war wohl nur first level.

In der Pause finden ein Kollege und ich Zugang zur Dachterrasse. Wir essen ungetoastete Toastsandwiches mit Essiggurken und Keksen, weil das Kantinenessen schlechter ist als das. Der Kollege erzählt von etwas, das ihn seit Langem verfolgt. Ich erzähle von den letzten Tagen meiner Mutter. Wir haben nicht bewusst darauf zugesteuert. Das Dach scheint isoliert und entrückt genug, um altes Segment in einem sicheren Rahmen hochschwemmen zu lassen. Dann wechseln wir zu Science Fiction.

Ich habe jetzt doch Obi Wan angeschaut. Es kann nicht immer Premium sein. Man muss sich auch mal mit Zweitklassigem zufrieden geben.

grow slow

Jede Stadt hat ihre Schnecke. Bis ich die Schnecke in meiner Heimatstadt gefunden habe, hat es eine Weile gedauert.

An diesem Juliwochenende gibt es häufig Gelegenheit, auf aufgeheizten Steinen zu sitzen, butterweich zu werden, zu verschwimmen. Die Pappeln werfen weiße Wolle in den Bordstein, an den Tischen wird leise in die Dunkelheit geredet.

Es ist eine Erlösung vom Gehirn in den Körper zu rutschen. Der Sommer hilft. Wenn doch immer Sommer wär.

Es ist nicht für jeden Menschen eine Erlösung, in den Körper zu rutschen. Für manche ist es das Gegenteil. Abhängig davon, was dieser Körper erlebt hat, welche Gefühle in ihm gespeichert, d.h. verkörpert sind.

In dieser Stadt wurde häufig roter Sandstein verbaut. Wären nicht 98% weggebombt worden, es wäre heute eine sehr rote Stadt. Geblieben ist Restrot. Manchmal in einem Turm, manchmal am Boden.

Es ist mir, zumindest im Juli, hier, unter Freunden und auf den aufgeheizten Steinen, viel klarer, dass jedes nachhaltige Wachstum langsam geschieht. Und ich nur punktuell beteiligt bin.

Ganz langsam krieche,
Schnecke,
am Fuß des Fuji
den Hügel
hinan.

Kontaktorgan

Heute Morgen in der S-Bahn einer Frau 25 Minuten lang dabei zugeschaut, wie sie sich schminkt. Wenn man aus der Pubertät raus ist, hat man gar nicht mehr oft Gelegenheit, jemandem in echt dabei zuzusehen; also nicht auf Youtube oder als Teil einer Performance.
Die Frau stieg am gleichen Bahnhof wie ich ein, warf sich in den Sitz und begann mit der Einrichtung ihres Gesichts: Grundierung, Abdeckung, Kontur, Puder, Rouge, Lidschatten, Lidstrich, Wimperntusche, Lippenstift und zum Schluss etwas, das ich als Augenbrauenliner bezeichnen würde. Sie war mittleren Alters, trug weiße Jeans und eine Businessbluse. Ich glaube es war Moritz von Uslar der das den Düsseldorflook genannt hat. Ich habe mich in den 25 Minuten gut unterhalten gefühlt. Schade war, dass sie mit dem Make-up nicht mehr so nahbar wirkte. Sie sah vorher sehr charmant aus, mit ihrem leicht verpennten Blick.

Wie mir eigentlich immer bei den Vorher/Nachher - Fotos die Leute vorher besser gefallen. Den Rest des Tages gehadert, ob ich aus der Beobachtung am Morgen schlussfolgern soll, selbst kein Make-up mehr zu nutzen. Gemerkt: nein. Geht noch nicht. Fühle mich doch recht gezeichnet von den vergangenen und bestehenden Krankheiten und will dem nicht konstant in die Augen schauen. Eine dünne Schicht Puder scheint genau den benötigten Schutz zwischen mich und die Umwelt zu schieben, damit ich mir nicht völlig roh vorkomme. Lieber wäre es mir anders. Lieber wäre ich in diesem Areal okay. Abwarten. Weitermachen.

Dann flaut in der Arbeit plötzlich alles ab. Nach der Raserei der letzten Wochen habe ich zum ersten Mal Zeit, mit einem Kollegen länger Pause zu machen, überflüssige Daten zu vernichten, Eiskaffee zu trinken.

Die spießige Blume habe ich auf Dauer doch nicht toleriert und wollte sie schon kompostieren. Der Nachbar, der gleichzeitig ein Freund ist, hat sie angeschaut und bestätigt: Ja, sie ist hässlich. Aber sie könne ein Loch im Sichtschutz auf seiner Seite füllen. Er hat die Blume ausgegraben und versetzt.

T.

Juni

Es passiert nichts in diesen Tagen. Das Heu wird eingeholt und ich muss nicht daran beteiligt sein. Nur vorübergehen.

Was ich gelernt habe sackt tiefer in mich hinein. Ich registriere passiv, dass es von selbst geschieht.

Die Mittagsstunden sind heiß. Ich wechsel von der Sonne in den Schatten und zurück. Es ist warm bis in die Nacht.

Gartenfiktion

Die Schafe sind wieder ausgebüxt. Jetzt stehen sie vor unserer Tür. Man darf ihnen nahe kommen - aber nicht streicheln!

Am Wochenende Fortbildung. Die Fortbildungen finden in einer Gärtnerei statt, die 80% der europäischen Print und Online Gartenzeitschriften mit Bildern versorgt. Daher stehen überall auf dem Gelände Kulissen. Hausfassaden ohne Haus dahinter, Zaunelemente, die nichts einzäunen, gut aussehende Hühner vor einem Tiny House, in dem niemand wohnt.
In, auf und über den Kulissen bersten Rosensträucher, wachsen Pfirsichbäumchen im Kübel, leuchten Walderdbeeren vor ins Gras gelegten Weidenkörben.

Ich bin nicht hier, um Fotografieren zu lernen. Ein Teil des Gewächshauses wird für Tagungen und Seminare vermietet. Die Inhalte der Fortbildung weichen drastisch ab von dem hier geschaffenen hortus concluses. Die Theorie ist dicht, die Praxisübungen noch dichter, es wird präzise beobachtet, umgesetzt und von Ausbilderinnen geprüft. In mehreren Runden wird jeder Schritt auf seine Wirkung hin analysiert, weitere Optionen angeschnitten, kleinteilig von den Teilnehmern rückgekoppelt.

Um so froher bin ich, in den Pausen und an den Abenden zwischen Fenchelbeeten zu streunen, an allem zu riechen, unter rauschenden Linden zu liegen. Der Chefgärtner läuft heiter und original mit Hut, Shorts und grüner Gießkanne durchs Bild und fordert uns auf, bitte viele Erdbeeren zu essen. Er ist kein Statist.

Ich denke hier oft an Tschechow, Sokolow, Anna Achmatowa. In Tschechows Gesellschaften werden mit Vorliebe an heißen Sommertagen Theaterkulissen in den Garten des Landguts gezimmert, ein Pappmond in den Baum gehängt, den Zusammenkommenden ein Text ausgehändigt. Und da stehen sie dann.

Irina: “Als ich heute erwachte, aufstand und mich wusch, schien es mir plötzlich, als sei mir alles klar auf der Welt, und ich wusste, wie man zu leben hat.”

Platonow: “Aber trotzdem begann der Kummer der allgemeinen Lage Woschtschew wieder zu quälen, er spürte manchmal das gesamte äußere Leben als das eigene Innere.”

Achmatowa: “Wir werden nicht aus einem Glase trinken, kein Wasser und auch keinen süßen Wein, des Morgens nicht in einem Kuss versinken, noch aus dem Fenster sehen im Abendschein.”

Sokolow: “Da kommt ein Soldat mit einer Feldmütze, nimmt ein Stück Kreide und geht auf den Waggon zu, er schreibt: Noch zwei Monate beim Barras. Da kommt ein Bergmann, seine weiße Hand schreibt lakonisch: Säue. Ein Sitzenbleiber der fünften Klasse schreibt: Marija Stepanna - Hure. Eine Bahnhofsarbeiterin in einer organgefarbenen Weste zeichnet auf den Waggon eine Wellenlinie. Ein Bettler mit Ziehharmonika nur zwei Worte: vielen Dank. Schließlich verlässt der Zug das Abstellgleis und rattert durch die Weiten Russlands.

_

She said, there’s a way to work through it.
You won’t be damaged forever.

P.

Immer wenn ich denke, die Pfingstrose habe ihre maximale Öffnung erreicht, geht sie eine Stufe weiter. Ich weiß nicht, wie sie das aushält. Diese Ausdehnung, Auffaltung, das totale Exponiertsein.

Gestern war der Mond ein Ei. Ich folge ihm und seinen Formen; den verbeulten, halbfertigen, zurück gehenden. In meinem Gedächtnisspeicher habe ich ein Mond-Depot angelegt.
Darin archiviert sind käsegelbe Vollmonde über Fichtenwäldern und bleich rosa Dreiviertelmonde über klirrend kalten Schneefeldern. Einige der Monde hängen über Hochhäusern, mehrere sinnliche Sicheln vor pflaumenblauen Abendhimmeln. Und es gibt auch, besonders gut verwahrt, einen an Bergzacken entlang schrammenden rötlichen Giganten.

Allerdings, der vielleicht wichtigste Archivmond befand sich vor einem Jahr in der französischen Provinz. Es hatte unter den Freunden den ganzen Tag über unterschiedliche Aussagen und Einschätzungen dazu gegeben, wann genau der Mond über diesem Dorf aufgehen würde. Eine Stunde harrten wir zu Neunt an der warmen Hauswand, um in der Sekunde des Aufgangs da zu sein. Wir waren da. Und schrien vor Glück, als er hochging.

Ich habe ein bisschen Angst vor dem Tod. Es ist das gleiche Gefühl, das ich jedes mal vor einem Übergang spüre. Der Schritt in und durch das eigene Dunkel. Der Abschnitt, den ich allein gehen muss. In dem es keine Ausflüchte mehr gibt.

Ich ahne/erkunde diese Unausweichlichkeit in dem gleichen Maß, wie ich meine Geburt noch irgendwo in mir ertasten kann. Der Anfang von mir. Wie ich mich hineingedreht habe in dieses Leben. Ausgeliefert und voller Bereitschaft.

Wir waren an einem Wasserfall am Sonntag. Das Wasser läuft an den Hängen runter, in die Felsspalten, bringt die steinigen Sammelbecken zum Überlaufen und verzweigt sich zum Schluss in den Flussarmen. In einer der grünen eisigen Gumpen baden wir. Es presst einem die Luft aus der Lunge. Man muss japsen, kreischen, johlen, schnappatmen und alles tun, was spontan zur Verfügung steht. Es existiert in solchen Gumpen kein Gedanke. Sensorisch eine einzige Überforderung.
Später dann der friedliche Weg nach Hause.

Today

Am Abend zieht Sturm auf. Die Pfingstrose ist kurz vorm Platzen. Ich glaube, sie braucht noch genau einen sonnigen Tag. Entlang des Fensters habe ich eine Girlande aus Duftwicken gepflanzt. Ich lag im Mai einige Male betört unterm Fliederstrauch und ich werde im Juni einige Male betört meine Augen im Kelch der Wicken schließen.

Ich bin hier angekommen, wie ein Loch, nach zwanzig Jahren City. Zu keinem menschlichen Kontakt gewillt. Außerhalb meines Freundeskreises wollte ich niemanden sehen, mit niemanden sprechen, vor allem niemanden hören.

Weiter hinten ist versehentlich eine spießige Blume herangewachsen. Auf dem Foto im Bestelldatensatz sah sie nicht so aufdringlich und plump aus. Um sie auszugraben ist es zu spät, sie gedeiht gut in der feuchten Ecke, wo sonst nur Schnecken und Steinasseln zurechtkommen.

Gestern sind beim Hof an der Kurve die Lämmer ausgebüxt und auf die um diese Uhrzeit stärker befahrene Hauptstraße gelaufen. Es sind eigentlich keine Lämmer mehr, sondern Teenager - in ihren Bewegungen liegt Bockigkeit und Lust auf Rangeln, es kotzt sie jetzt alles ein bisschen an; die langweiligen Elterntiere und der dumme Hof. Als ich in ihre Richtung gehe, öffnet sich zeitgleich die Tür der kleinen Wohnanlage gegenüber und heraus treten zwei alte Bewohner, die für die Fütterung wilder Katzen in der Gegend zuständig sind und auch generell das allgemeine Tierwohl im Blick behalten. Zusammen lotsen wir die Schafe zurück zur eingezäunten Wiese.

Die zwei Alten sind scheu und misstrauisch. Ich habe sie schon einmal angesprochen, worauf sie verhuscht und etwas verkniffen geantwortet haben. Ich traue mir dennoch zu, ihr Vertrauen zu gewinnen. Wer nachts mit 40 km/h durch den Wald fährt, um bremsbereit für wegquerende Füchse zu sein, ist auch im Stande das Herz einer greisen Catlady umzustimmen.

Soviel habe ich jedenfalls gestern in Erfahrung gebracht: 2 der wilden Katzen sind im Frühjahr bei der Catlady eingezogen, die restlichen 3 präferieren ihr Outdoorleben zwischen Schafstall und Trafohäuschen.

Bleiben

Nach den Tagen in der Behörde liege ich unaufgeräumt in der Wohnung und bin zu nichts in der Lage. Draußen feucht warm. Es wächst Farn. Ich unterlasse es, zu lernen, mit meiner freien Zeit etwas anzufangen. Am Samstag hebe ich mich auf und fahre in die Stadt. Vor der Ludwigskirche hängen transparente Fahnen. Eine blaue Kugel vor durchsichtigem Grund. Neben den vielen hässlichen Flaggen auf dieser Welt existieren also auch noch ein paar ganz schöne.

Die Nacht wird lang. Im Hirschgarten sitze ich mit Freunden um ein Grillfeuer und esse Frühlingsrollen. Je dichter die Dunkelheit, desto näher fühle ich mich den Menschen. Ich brauche dazu keinen Alkohol. Das war nicht immer so. Beides haben zu können - Verbindung zu mir und Verbindung zu anderen - das ist der große Rausch, nachdem ich so lange gesucht habe. Er ist nicht verfügbar, dieser Rausch, er gehört mir nicht, ich kann ihn nicht herstellen. Mich lediglich bereithalten und konstant hinwenden zu mir.


Unweit unseres Platzes auf der Wiese fasst sich eine Familie oder ein Familienverband an den Händen und tanzt einen folkloristischen Reigen. Ich glaube, es wäre okay, rüber zu gehen und mitzumachen. Der Mond ist eine Sichel. Das Gras kaum kühler als die aufgeheizte Luft. Die Dunkelheit hat in dieser Nacht etwas von einem samtenen Tuch. Ich kann mich wickeln in das Tuch, ich spüre es auf jedem Zentimeter Haut.

Weiterhin beschäftige ich mich mit Ohnmacht. Hat sich ein Wort erst einmal Zutritt verschafft, geht es in der Regel auch die nächsten Monate nicht mehr weg. Es muss von allen Seiten benagt werden. Angefangen hat es im Februar mit der Ukraine. Dann im März der Tod von N. Dass ich ihn nicht am Leben erhalten konnte. Der Größenwahn, zu meinen, jemanden am Leben erhalten zu können.

Die verschwommene Erinnerung in der Stunde nach der Nachricht, im Kreis gelaufen zu sein. Auseinanderfallen.

Jemand, der sich mit Ohnmacht auskennt, schreibt:
Auf Ohnmacht antworten wir gern mit Macht. Mit Aktivismus.
Eine Tat zu tun ist leichter als das Unaushaltbare zu halten.
Sind deshalb unsere Taten vergeblich? Nein. Aber sie ändern nichts an unserem Ausgeliefertsein.

Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden,
als Zeichen eines großen Gerichts.
Aber dir liegt nichts daran.
Sanften Gesichts siehst du
den Tragenden zu.
[Rilke]

Wirf dein Hab und Gut aufs Meer. Vielleicht kommt es zurück zu dir

Dann kommen Freunde. Wir gehen auf einen Berg. Wir gehen zum See. Der Wind bewegt das Gras, hoch und ungemäht an der Stelle mit den lila Blumen. Einem Kind wird ein Kranz ins Haar geflochten, die anderen sichten Greifvögel, eine schwarze Schlange kriecht vorbei, die dicke Zunge des sehr jungen Kalbs leckt über meinen Handrücken.

Die Abstufungen des Ausgeliefertseins beschäftigen mich. Die kleinen Kontrollverluste jeden Tag. Und die große Ohnmacht. Ohne Macht in diesem Leben zu stehen.

An die kleinen Kontrollverluste versuche ich mich zu gewöhnen. Mitzuschwimmen, wenn möglich. Die Ohnmacht hingegen.

Fiktionsbescheinigungen. Die Behörde, in der ich aushelfe, presst weiterhin im Eilverfahren Wissen in mich hinein. Die Ukrainer, die mir später am Tag gegenüber sitzen, sind auf dieses Wissen angewiesen und pressen es wieder aus mir heraus. Alles, was ich sagen kann ist unvollständig und eigentlich nicht genug und nur mit akutem Mitarbeitermangel in einer Krisensituation zu rechtfertigen.

Die Mütter schaukeln Kinder im Arm, während wir nach 45 Minuten immer noch weitere Nachweise von ihnen wollen; für das Mittagessen in der Schule, für noch nicht erhaltene Versichertennummern und Nebenkostenaufstellungen im Untermietvertrag der temporären Unterkunft. Dennoch: die Ukrainer kommen vorbildlich vorbereitet zu den Terminen, legen ihre gut sortierten Dokumentenmappen auf den Tisch, werfen sich auf den Arbeitsmarkt, auf den Wohnungsmarkt, in die Sprachkurse, in das Dickicht der Verfahren.


W.

Woschtschew nahm in der Wohnung seine Sachen in einen Sack und ging nach draußen, um an der Luft seine Zukunft besser zu verstehen.

[Die Baugrube, Andrej Platonow]

Kooperation

Die neue Aufgabe. Sie ist aufreibend, komplex und verlangt mehr als ich ursprünglich geben wollte. Ich verabschiede mich von meinem Team, meiner Institution, wechsel in ein anderes Unternehmen, ob für 3 Monate, 6 Monate oder länger bleibt unklar. Am neuen Schreibtisch bekomme ich einen Ordner mit Gesetzestexten, einen mit Verfahrensregeln, einen zur Aktenkunde und 5 Kollegen, die im Schnelldurchlauf Fachwissen in mich frachten. Es trifft mich und viele andere Mitarbeiterinnen. Es ist eine Ausnahmesituation und wir sind abrufbar. Was ich im letzten Jahr erworben habe, hat keine Bedeutung mehr: Transliterationen des griechischen Alphabets, Besonderheiten türkischer Verlage, Abgründe der Etatansetzung und die Meisterung derselben. Es fehlt mir - das Polster meiner Kompetenz. Ich bin unglücklich und die häufigen Umbrüche leid. Am Abend des ersten Tages mit der neuen Aufgabe liege ich zermatscht im Bett und gräme mich. Jammern ist gesund. Ich glaube, mich damit anteilig von meiner Neurodermitis geheilt zu haben. Ich pflege meine Bequemlichkeit und füge mich nicht ohne Aufstand in einen neuen Umstand. Eine Weile liege ich so. Dann höre ich Beppo Straßenkehrer oder Gott oder mich - wie wir sagen:

Nicht den ganzen Weg anschauen. Nur den nächsten Schritt. Atem, Schritt, Besenstrich.

Es ist simpel und tröstet. Wir drei im Chor. Zermatscht und street wise. Mein Gram legt den Kopf an meine Schulter. Ich schlafe ein und träume von Papier.

Es hilft, die Unbequemlichkeit zumindest im Dienst eines guten Zwecks zu tun. Diejenigen, für die ich ab heute Akten wälze haben mehr verloren als ihre kleine private Kompetenz. Ich weiß nicht, wer in ihrem Kopf mit welchen Worten spricht. Ob überhaupt noch jemand spricht.

Am anderen Tag sind wir im Gebirge, die Murmeltiere pfeifen die Hänge runter, eine Gams sieht uns lange an, bevor sie durch den Schnee ins Tal trabt. Eine einzige Üppigkeit an Freundschaft und Blumen breitet sich aus. In einer besonders heißen Serpentine aufwärts bleiben wir stehen unter ätherisch duftenden Latschenkiefern. Wir sind zu sehr außer Atem, um etwas zu sagen. Stehen da in stummer Vereintheit. Große Landschaften sind ja wie gemacht dafür, alles wieder ins rechte Licht zu rücken.

Vor diesem Hintergrund scheint es kleinlich, wegen einer neuen Aufgabe unglücklich zu sein. Aber ich will nicht herabsehen auf mich. Und jedes Gefühl in mir unterbringen.

Flanke an Flanke

Nach einem durchgetakteten Tag hinter diesen Mädchen zum Stehen gekommen. Ihre liebevolle Verabschiedung in der großen Kleidung, als die eine zusteigen und die andere zurück bleiben muss. Die Selbstverständlichkeit mit der sie sich angleichen wollen (können) müssen. Die Erinnerung, das als Teeanager mit der Freundin genauso auch gemacht zu haben. Eine schwer zu beschreibende Art von Stärke dabei empfunden. Vielleicht: Die Verdoppelung der eigenen Abwehrkraft. Oder schlicht: Rudel gefunden.

Die Version der Erwachsenen. Eine Winternacht vor Corona. Wir treten aus der Bar, frieren, ziehen die Mützen auf und sehen dann so aus:

Vor und zurück

Viel Regen und daher Gelegenheit, drinnen zu sein. Lernen. Die Lust, es nicht gehetzt tun zu müssen. Sekundärliteratur lesen, zwanzig Minuten aus dem Fenster starren, die neuen Informationen mit den alten abgleichen.
Ich hätte mir das früher nicht erlaubt; Stoff, den andere innerhalb eines Jahres in sich hineinpressen, auf zwei Jahre auszudehnen. Hand in Hand mit meiner Herangehensweise Leichtigkeit dabei zu empfinden.

Im Wald den Barfußpfad gegangen. Ich in Barfußschuhen (he he), das Kind des Bruders in echt barfuß. Das Kind nimmt die gesamte Runde mit Genuss und Neugier, nur am Übertritt zu den kleinen spitzen Zweigen scheut es zurück. Später allerdings, als wir längst auf etwas anderes fokussiert sind, bemerke ich, wie es allein und ohne Hilfe über die Zweige wankt. Nur aus dem Augenwinkel habe ich das gesehen. Fast verpasst.

Der ganze Sektor der eigenen Ohnmacht, Unsicherheit, Wackeligkeit. Die Passage der Angst, die ich durchlaufe. Jedes Mal wieder diese Passage, um in die nächste Weite zu kommen.

Ich, die ich wirklich rein gar nichts von Mode verstehe, schaue zur Unterhaltung und vor dem Einschlafen die US -amerikanischen Designer-Castingshows. Frauen und Männer, die antreten “the next global brand” zu werden.
Erfreulicherweise finden sich unter den Belgiern, Kolumbianerinnen, Italienern und Amerikanerinnen manchmal auch Personen im fortgeschrittenen Alter, die drei Jahrzehnte Arbeitsleben auf dem Buckel haben. Wie die immer schwarz gekleidete und sanft lächelnde Esther Perbandt, die in stressigen Situationen über ihre Entwürfe gebeugt murmelt: Everything I want is on the other side of fear.

Neben der Handwerkskunst sind es diese gezeichneten und sicher mehrfach gescheiterten Gesichter, die mich so hervorragend unterhalten und scheinbar auch sedieren - ich schlafe ruhig und eingebettet im Gemurmel der wankend vorwärtsschreitenden Mitmenschen.

Hibi

Ich habe lange nicht wahrhaben wollen, wie kompliziert ich geworden bin. Rund zehn Jahre brachte ich damit zu, zu hoffen, es gehe vorüber. Wenn Freunde davon berichteten, zum Zwecke ihrer Yogaausbildung oder im Rahmen eines Engagements in der Entwicklungshilfe monatelang mit zwanzig Personen und null Privatsphäre in einem Raum auf dem Boden geschlafen zu haben, glomm in mir gegen alle Vernunft der leise Wunsch, dazu auch einmal in der Lage zu sein.

Unter den verschiedenen Kompliziertheiten war und ist die Geräuschempfindlichkeit die für mich am schwierigsten zu handhabende und vielleicht auch die Tatsache, die ich mit der größten Ausdauer in mir niederzuringen suchte. Könnte ich zehn Jahre zurück reisen würde ich der Frau, die ich damals war, gern einmal fest in die Augen schauen und gutmütig sagen, lass es.
Lass es, du kleine dumme Nuss.
Oder auch mit den Worten eines Freundes: Das lässt sich doch mit Technik lösen.

Nachdem besagter Freund mehrmals kopfschüttelnd Zeuge meiner Einbrüche wurde, lag vor zwei Jahren dieser noise cancelling Kopfhörer auf dem Tisch. Warum ich letztlich, ich kann selber nicht fassen was ich jetzt hier schreibe, mich weigerte den Kopfhörer zu benutzen und ihn mit Einverständnis des Freundes sogar weiterreichte… das lässt sich vermutlich nur mit Hilfe eines dafür ausgebildeten und bezahlten Menschen klären.

Es hat dann aber, und dafür bin ich der Unerbittlichkeit der Umstände sehr dankbar, doch nur noch 2-3 weitere Einbrüche gebraucht, um mich weichzukochen für die Einsicht, dass mir mit meinen Mitteln nicht mehr zu helfen ist.
Dass ich Hilfe brauche, die diametral entgegengesetzt ist zu meinem bisherigen Vorgehen. Der Kopfhörer wurde erneut bestellt, in den Rucksack gepackt und hält sich bereit. Die belastenden Situationen treten weiterhin ein, ich sehe sie kommen, ich greife in den Rucksack und dimme alles herunter. Ich stehe in keiner U-Bahn, in keinem Supermarkt, auf keiner Demo mehr ohne die Kopfhörer herum. Ich ziehe sie ab für Gespräche, unterhalte mich und ziehe sie wieder auf. Und es hat niemanden außer mich selbst überrascht: Ich fühle mich gut.

Außerdem gelernt: Hotelzimmer mit Sandelholz ausräuchern, eigenen Kopfkissenbezug mitbringen, Hotelbilder abhängen, Hoteldeko wegräumen, Bierzelt nach dem zweiten Bier verlassen, pastellfarbene Kleidung tragen, den TGV buchen, im gleichen Rhythmus wie die Raucher vor die Tür gehen, ein Tier oder eine Pflanze ansehen und wenn irgendwo Event draufsteht - den Ort weiträumig meiden.
Bierzelt ist ab und zu okay.

Heroin chic

Mitte der Neunziger sahen Models, die durch Zeitschriften und Musikvideos schlichen, häufig aus, als kämen sie gerade vom Magenauspumpen. Erscheinungen von Mangelernährung und Selbstverletzungsnarben waren dann auch der erste Eintrag, den ich als Fünfzehnjährige in meinem internen Orientierungskatalog unter Schönheitsideal ablegte. Die am Rand der Suizidalität entlang kuratierte Ästhetik wich, wenn ich mich recht erinnere, erst in den Nullerjahren einem etwas stabiler wirkenden Frauenbild. Ich hielt mich spätestens mit Anfang Dreißig für eindeutig genesen von dieser frühen Sehstörung.

Es dauerte dann aber doch noch eine ganze Weile bis die alten Informationen vollständig überschrieben waren. Ab 2015 gab es für einen relativ kurzen Zeitraum ein Label aus New York, das sehr viele verschiedene Frauen in sehr teurer Unterwäsche in ungewöhnlich bequemen Bewegungen ablichtete. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal auf eines dieser Fotos stieß und irritiert war. Wie ich am nächsten Tag zu dem Onlineshop zurückkehrte, um noch einmal alle Frauen anzusehen und das dann jeden Tag gemacht habe, monatelang. Einen ganzen Herbst und einen ganzen Winter. Bis irgendwann im Frühjahr das Bedürfnis, die Bilder zu sehen, nicht mehr ganz so dringlich schien und ich nur gelegentlich auf der Seite verweilte; eine Art Erhaltungsdosis.

Und dann die Mittagspause im Sommer darauf, als eine Kollegin etwas Abwertendes über ihren eigenen Körper sagte und ich zusammenfuhr vor Schreck und Verblüffung. Ich habe ihre Aussage nicht mit einer gut gemeinten Entgegnung korrigiert. Ein Kompliment kann nicht ersetzen, was sechs Monate Sehschule bewirken. Und einmal Erworbenes kann wieder verloren gehen.

Wenn ich an einer Herde vorüber gehe, die Hermeline übers Feld flitzen sehe, die Elstern auf der Dachrinne, denke ich, dass weder diese Tiere noch ich mir ausgesucht haben, worin wir gelandet sind. Und es nahe liegt, sich zu verbünden. Ein jedes Wesen mit seiner Form.