Untergehen
Es ist fast Mitternacht, als einer der Freunde sagt, er möchte mal mit Justin Biber über seine Depressionen sprechen und ein anderer gesteht, eine Schwäche zu haben für Songs von Taylor Swift. Sie verstehen sich gut an diesem Abend, Öl tropft von ihren Fingern, das afghanische Essen so fettig und üppig – in desperate need of feuchte, warme Handtücher hinterher.
Wir wollten eigentlich nicht lange bleiben, aber Stella steht nicht auf aus den afghanischen Kissen, ihr großer, müder Körper eine Kurve in der Flanke meines Kollegen. Spiegelverkehrt ihr gegenüber liege ich an Thulas Brust, deren Arm mich umfasst und hält, eine Wiege meinen Augenringen und Ruhebett den Gedanken. Ich schlafe ein an dieser Frau, höre sie sprechen, während Träume durch mich ziehen und ich sie ihrerseits sicher weiß, angelehnt an die Schulter des Mannes, der im Sommer diese Stadt betrat.
Der Bergfreund lacht mir zu, als ich wach werde, ganz vom anderen Ende des Tischs. Es geht um Wechselkleidung jetzt, wer wie nass war nach dem Tanzen, bis auf die Unterhose ist das Ziel, jede Woche derselbe Contest, dieselbe Freude an der Verausgabung und der unablässige Wunsch, die eigene Kraft zu spüren im Zustand ihres Verglühens. Wir werden bald tot sein und sind es schon, jede in ihrer Ohnmacht, jeder in seinem Verlust.
You are probably the strongest group of dancers I’ve seen on the European floors so far, hatte der DJ nach dem Set zu uns gesagt. Sein unscheinbares Gesicht, sein unscheinbares Verhalten, alles wie gemacht, um keinen Eindruck zu schinden. Vielleicht ein Mensch, dem nichts geschenkt wurde, der lange in Stille gearbeitet hat. Er stand in dem dunklen Park, auf dem Weg zu seinem Auto, das war vor über einem Jahr, nachdem ich ihn zum ersten Mal gehört hatte. Please come back, hatte ich ihm zugerufen, euphorisiert von den zurückliegenden Stunden, von seiner Auswahl und der Heftigkeit. We need you here. We need the density of your art.
So auch an diesem Abend. Die ineinander schmelzenden Schichten reich und durchdacht, während die Unterströmung konstant zieht.
Parallel dazu unterlasse ich etwas, stoppe mich, unterbreche den Versuch, meine Gefühle loszuwerden. Auch hier, in diesem Kokon aus Frequenz und Bewegung, oder gerade hier, in diesem Kokon aus Frequenz und Bewegung, flutet es manchmal so hart rein. Alles was weg ist. Alles was war.
Ich lese Pema Chödrön, Maria Popova und Yiyun Li. Ich rufe auf, was Richard Rohr zusammengetragen hat und flüster in einem fort Rilke in die Nacht hinein. Ich erinnere mich der Sätze meiner Körperlehrer, als sie ihre Hände auf meinen Rücken legten und mit mir reingingen in die Dunkelheit.
If we commit ourselves
to staying right where we are,
things become very quiet,
very clear.
There is nowhere to escape to.
There is nothing we can do.
Don’t try to make the pain go away.
Stay with that shakiness,
with a broken heart.
In the midst of chaos
we can learn not to panic.
The off-center moment
is the ideal situation.
Here you relate to everyone,
here you need everyone,
and can actually give to everyone.
You are in the abyss,
standing your ground,
feeling it all.
You are given to the water,
no longer fascinated by control
you become water yourself.
Like the trinitarian god
who was never almighty,
but fragile like all creation.
A god who is one
though being three parts,
son, father, spirit,
a triangle of interconnectedness,
loving,
giving,
receiving,
and needing others.
Not powerful, but infinitely rich in resources when living in community.
Es kommen weitere dazu. Weitere Menschen. Sie bleiben hängen, verfangen sich zwischen Stella, dem Bergfreund und meinen Kollegen. Eine junge Unternehmerin zieht ein paar Tage mit uns um die Häuser, fest in ihrem Ausdruck, fest um ihren Mund. Dann sind wir bei Thula, sprechen von Freundschaft und ich sehe, wie die Lippen der Unternehmerin zu zittern beginnen. Ich greif unterm Tisch nach ihrer Hand.
stay with that shakiness
stay with a broken heart
Hinterher ist sie ist butterweich. Noch Tage später treffen Nachrichten ein, sie will uns ihre Kollektion zeigen, sie will uns einen Kurs schenken, japanische Keramik berühren, sich mitteilen, ihre Haut riskieren.
In der Institution sind die Gänge leer. Die Mitarbeitenden haben Corona, Urlaub oder keine Lust, bei Sturm das Haus zu verlassen. Ich blätter einen Vormittag durch türkische Literatur und trage Zahlen in Tabellen ein. Die Assistentin der Direktion kommt vorbei. Wir stehen am Fenster und schauen raus.
In der Praxis melden die Frankfurter Bedarf an weiteren Seminaren an. Ich überlege zwei Tage, wie sehr ich das Angebot verändern muss, um mich maximal wohlzufühlen, und gebe Bescheid. Die Frankfurter nicken alles ab. Abgesehen davon halte ich Arbeit von mir fern. Weiterhin am Erkunden, wie weit ich mein Leistungsniveau runterfahren kann, während ich leiste. Wie viel Langsamkeit möglich ist.
Zu einer Vernissage gegangen. Vulven aus unterschiedlichem Material betrachtet und betastet. In einer meine ganze Hand versenkt.
Während die älteren Kühe der Nachbarschaft mittlerweile reingehen, sobald es abends kalt wird, schlagen sich die Kälber weiterhin draußen die Nächte um die Ohren. Und sind keineswegs nur mit Verdauung beschäftigt. Ich sehe sie öfter gegen 2 Uhr morgens über die Weide fetzen. Dieses, so weit ich weiß, eher amerikanische Modell eines an die Wiese angrenzenden Stalls, ist hier selten. Immer offene Türen, spontan begeh- und verlassbar. Mich interessiert die individuelle Entscheidung der Tiere. Noch weiter südlich, nahe dem Karwendel, wird die Herde spätestens Mitte Oktober reingebracht. Die Bäuerin, die ich dort kenne, sagt, die Kühe seien nicht gut drauf, wenn sie bis zum ersten Schnee draußen sind.
Am Wochenende werde ich wieder tanzen und bereite mich darauf vor. Ich möchte mich kleiden als das Gefühl eines Menschen, der beim Aufwachen bemerkt, von einer Qualle geträumt zu haben.
Quallen haben kein Gehirn.
Quallen sind älter als Dinosaurier.
Quallen leben ohne Lunge. Sie atmen durch ihre gesamte Körperfläche.
Es gibt eine Quallenart, die unsterblich ist. Sie kann ihren Lebenszyklus wenden und wieder zum Polypenstadium zurückkehren. Und dann von vorn beginnen. Unendlich.























































































































































